1610 - Knochen-Lady
Aber an Aufgabe dachte ich nicht.
Ich überstürzte nichts und behielt den Schädel unter Kontrolle, als ich das Kreuz in seine Nähe brachte.
Es tat sich nichts.
Aber es geschah etwas anderes. Und das sorgte dafür, dass ich meinen Vorsatz aufgeben musste.
Plötzlich wurde die Stille von einem schrillen Geräusch unterbrochen. Es war das nostalgische Klingeln eines Telefons, und so ein Apparat stand in der Nähe.
Meine Aktion hatte ich vorläufig vergessen. Jetzt war ich gespannt darauf, wer etwas von de Soto wollte…
***
Miranda stand vor dem offenen Schrank und schaute ihre drei Schädel an. Etwas war anders geworden, das wusste sie, aber sie konnte nicht genau sagen, was sich verändert hatte.
Es hatte äußerlich nichts mit den drei Schädeln zu tun, die einen so bunten Anstrich zeigten, und es hatte auch nicht unbedingt etwas mit ihr selbst zu tun.
Es konnte damit zusammenhängen, dass ein Totenkopf fehlte. Es war der gelb angestrichene, den hatte sie abgegeben.
Es war ihr nicht leicht gefallen, aber Rick de Soto hatte sie so lange gequält, bis sie zugestimmt hatte.
Außerdem war er kein Fremder für sie. Sie kannten sich seit zwei Jahren.
Auf einer Kunstakademie waren sie zusammengetroffen. De Soto als Künstler und sie als Modell. Aber mit der Prämisse, ebenfalls als Künstlerin arbeiten zu können, und das hatte sie dann auch getan.
Die Totenschädel hatten bei ihr eine schon verrückte Faszination ausgelöst. Sie kam einfach nicht von ihnen los, und je mehr sie sich mit ihnen beschäftigte, umso klarer war ihr geworden, dass in ihnen ein Geheimnis steckte.
Das stimmte auch.
Die Stimmen hatte sie sich nicht eingebildet. Sie waren da gewesen und sie hatten Kontakt mit ihr aufgenommen. Also waren diese Schädel etwas Besonderes.
Zwischen den Gebeinen fühlte sie sich wohl. Deshalb hatte sie sich auch den Namen Knochen-Lady gegeben.
Sie hatte sich sogar selbst damit fotografiert. Halb nackt und sehr sexy saß sie zwischen den Totenköpfen, als wäre dies das Normalste der Welt.
Auf dieses Bild war sie sehr stolz. Sie hatte es vergrößern lassen, und es hing nun in ihrer Wohnung eingerahmt an der Wand, an der am meisten Platz war.
Es war so etwas wie der Beginn für sie gewesen. Der Anfang eines neuen Lebens. Alles andere wollte sie über Bord werfen und nicht mehr so sein wie früher.
Dabei hatten die Schädel eine große Rolle gespielt. Und sie hatte in Rick de Soto einen Verbündeten gefunden.
Schon an der Akademie war er ihr aufgefallen. Von ihm strahlte etwas Düsteres und Geheimnisvolles ab, und genau das hatte sie angezogen.
De Soto war ein Außenseiter, auch mit seiner Kunst, mit der er irgendwann den Durchbruch schaffen würde.
So war es auch bei ihr. Für sie waren die farbigen Schädel Kunst. Eine Performance. In der mehr steckte, als sie nach außen hin zeigte. Sie waren was Ungewöhnliches.
Miranda wusste auch nicht, wem sie einmal gehört hatten. Aber es mussten besondere Menschen gewesen sein, die zwar gestorben waren, deren Geist aber nicht vergangen war, denn der steckte noch in den farbigen Köpfen.
Miranda hatte sich immer wieder Gedanken darüber gemacht, wie alt diese Fundstücke wohl waren. Zu einem Ergebnis war sie nicht gekommen. Aber in diesem Bunker gab es noch mehr von ihnen. Sie hatte nur vier Schädel mitgenommen. Drei befanden sich bei ihr im Haus, den vierten hatte sie an de Soto abgegeben.
Sie hatte allerdings keine Ahnung, ob er das Gleiche erlebt hatte wie sie.
Miranda dachte an die Stimmen, die ihr eine so geheimnisvolle Botschaft gebracht hatten. Das war einfach fantastisch und einmalig gewesen, und ihre Angst war einer großen Erwartung gewichen, die sich vor allen Dingen auf die Zukunft fixierte.
Es lag noch Großes vor ihr. Leider kannte sie keine Details und musste sich deshalb in Geduld fassen.
Eines allerdings bereitete ihr Sorge. Sie wusste nicht, was mit Rick de Soto geschehen war. Seit er den gelben Schädel bekommen hatte, hatte sie von ihm nichts mehr gehört. Dabei hatte er sich melden wollen.
Bisher hatte sie vergeblich darauf gewartet.
Einige Male schon war sie dicht davor gewesen, ihn anzurufen. Dann hatte sie es gelassen, weil sie ihn nicht stören wollte.
Die Tür des Schranks stand immer offen, seit sie die Stimmen vernommen hatte. Miranda wollte jederzeit einen Blick auf ihre drei Verbündeten werfen können, denn als solche sah sie die farbigen Knochenköpfe an.
Es gab keine Angst in ihr, nur eben die große Spannung,
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