1612 - Der letzte Flug der LIATRIS SPICATA
Umgebung wahrnehmen konnte, gewissermaßen die Augen und Ohren der LIATRIS SPICATA -sie waren schon fast alle ausgefallen, von der Hitze zerstört, die von Minute zu Minute zerstörerischer um die LIATRIS SPICATA toste.
Die LIATRIS SPICATA flog nun fast blind; es lag einzig an der Kunst des Navigators, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, an dem die Kompensationskonverter eingeschaltet werden mußten, deren Aufgabe es war, die physikalischen Einflüsse des Einsteinraumes abzuschirmen und damit der LIATRIS SPICATA einen überlichtschnellen Flug zu ermöglichen.
Escobar Valdez leckte sich nervös die trockenen Lippen.
Es war eine Angelegenheit von Sekundenbruchteilen. Selbstverständlich war kein Mensch oder menschliches Wesen in der Lage, die genaue Position eines Raumschiffes zu kontrollieren, das mit extrem hoher Geschwindigkeit auf einen Himmelskörper zuraste. Diese Aufgabe wurde von den Syntrons übernommen.
Aber es waren Escobars Berechnungen gewesen, auf denen seine Entscheidung fußte, bei welchem Abstand von der lodernden Oberfläche der Sonne die LIATRIS SPICATA den Absprung in die Librationszone wagen sollte.
Davina trat näher an Escobar heran.
Escobar konnte spüren, wie sie ihn bei der Hand faßte. Im Hintergrund der Zentrale wurden die Atemzüge der anderen Besatzungsmitglieder schneller und lauter. „Jetzt kommt es drauf an!" murmelte Escobar.
Graue Schlieren grieselten über den Panoramaschirm, dann war auch diese Kamera ausgefallen.
Die LIATRIS SPICATA flog jetzt vollständig blind, nur den Berechnungen und Befehlen folgend, die der Kommandant des Schiffes zu verantworten hatte.
Eine leise Stimme klang auf; dem Tonfall nach zu schließen, war es ein Mann, der mit heiserer Stimme etwas in seiner heimatlichen Sprache von sich gab. Vermutlich ein Gebet, zu welchem Gott auch immer.
Kommandant Escobar Valdez blickte auf die Uhr. Noch knapp sieben Sekunden.
Nicht viel Zeit, wenn man es aus dem Blickwinkel eines Menschen betrachtete. Nur ein paar Schläge eines aufgeregten Herzens, mehr nicht. Aber in sieben Sekunden legte die LIATRIS SPICATA eine Strecke von weit mehr als einer Million Kilometer zurück. Ein Fehler in der Berechnung, der nur eine Zehntelsekunde ausmachte, lief auf rund dreißigtausend Kilometer Abweichung hinaus. Im freien Raum zählten dreißigtausend Kilometer nicht viel, aber in der Nähe einer Sonne oder eines Planeten hatte selbst diese Zahl Gewicht. „Wo werden wir herauskommen?" fragte Davina leise. „In der Nähe des Sa ..."
Kommandant Escobar Valdez kam nicht dazu, den Satz zu beenden.
In diesem Augenblick geschah zweierlei.
Zum einen wurde die LIATRIS SPICATA von einem gewaltigen Schlag getroffen, der so stark war, daß er die Menschen von den Beinen riß.
Zum anderen begannen die Konverter zu arbeiten, endlich.
Der Vorgang nahm nur den Bruchteil einer Sekunde in Anspruch, aber er machte der Besatzung der LIATRIS SPICATA klar, wie riskant das Manöver gewesen war, auf das sich Escobar Valdez und seine Leute eingelassen hatten.
Valdez stieß einen langen Seufzer aus. „Geschafft!" murmelte er, hörbar erleichtert. „Es geht nach Hause. Endlich!"
Davina Taigaram sah sich in der Zentrale der LIATRIS SPICATA um. Die Instrumente arbeiteten noch, man konnte die Verfärbungen der Skalen erkennen, die Ausschläge der Zeiger, die sich ändernden Ziffernfolgen. Und da die Maschinen der LIATRIS SPICATA ebenso alt waren wie das Schiff, konnte man die Arbeitsgeräusche zum Teil als Schwingungen des Zentralebodens körperlich spüren. „Bekommen wir etwas auf den Reliefschirm?" fragte Davina leise. Sie deutete auf die großen Bildschirme. „Es irritiert mich, wenn wir gewissermaßen blind fliegen."
Escobar Valdez nickte amüsiert. Er horchte auf die Geräusche. Alles klang normal, soweit er das beurteilen konnte. „Mich auch", sagte er seufzend. „Ich werde zusehen, was sich machen läßt."
Davina sagte nichts mehr. Aber die Erleichterung war ihr anzumerken. Valdez konnte es jedesmal sehen, wenn er sie anblickte.
Und er blickte sie des öfteren an.
Die LIATRIS SPICATA raste durch den Raum, auf das Solsystem zu. Valdez wußte, daß einige Stunden vergehen mußten, bis Sol erreicht war. „Wie sieht es aus, Raynor?" erkundigte er sich beim Funker der LIATRIS SPICATA. „Was hast du vor unserem Linearraumeintritt aufgefangen?"
Der zuckte die schmalen Schultern. „Wie wir es erwartet haben", sagte er. „Seit der Hyperraum wieder da ist, kommen von allen Seiten
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