162 - Wer den Sturm sät...
stellte erstaunt fest, dass der Himmel bewölkt war; das erlebte er zum ersten Mal seit seinem Aufenthalt auf dem Mars.
»Das ist nicht ungewöhnlich«, bemerkte Windtänzer. »Auf den Sturm folgt Regen, denn es werden auch große Wassermengen aufgewirbelt.«
Die Fortbewegung war trotz der geringen Schwerkraft mühsam, denn der Sand gab stetig unter ihnen nach und ließ die Stiefel bis zu den Knöcheln einsinken. Einzig Windtänzer schien den Bogen heraus zu haben, denn er hinterließ kaum Spuren, schwebte fast über den Sand. Matt machte immer wieder größere Sprünge, wenn er es satt hatte, mühsam dahinzustapfen, aber das kostete ihn zu viel Sauerstoff und er ließ es wieder sein.
Nach einer Stunde Fußmarsch setzte Regen ein. Matt blickte staunend zum Himmel, von dem herab große schwere Tropfen in langsamem Fall kamen. Anfangs konnte er den Tropfen sogar ausweichen, bis sie zu zahlreich wurden. Sie zerplatzten wie Seifenblasen auf seinem Helm, und das Wasser rann in vereinzelten Rinnsalen über das Visier hinab.
»Regen in Zeitlupe…«, sagte er beeindruckt. »So etwas habe ich noch nie erlebt.«
Der Niederschlag fiel auf den Sand herab und versickerte, ohne auch nur feuchte Spuren zu hinterlassen. Nach einer halben Stunde hörte er wieder auf, die Wolken zogen weiter und gaben den Blick auf den rötlichen Himmel und die ferne Sonne frei. Matt war sicher, dass es nicht einmal einen halben Millimeter pro Quadratmeter geregnet hatte.
Sie setzten den Weg fort und erreichten nach einer weiteren Stunde den Rand des Canyons.
Matt blickte auf eine steil abfallende, labyrinthische Landschaft: einen tiefen, weit verzweigten Einschnitt, der ganz übergangslos wie ein Graben senkrecht in die Tiefe ging. Der gegenüberliegende Rand war nicht zu erkennen, so weit lag er entfernt; zudem zogen Dunst- und Nebelschleier durch die mäandernden Täler.
Die Felsenschichten zeigten Farbvariationen von Kupfer bis Grünspat und präsentierten sich dem Auge als malerische Farbpalette, die je nach Lichteinfall die Intensität wechselte.
Der Blick nach unten wurde durch wandernde Nebelfetzen, zerklüftete Felsvorsprünge, Pyramidensteine, schrundige Zacken und vorspringende Plateaus verwehrt, sodass nicht erkennbar war, wie weit es hinunterging.
Und es gab Pflanzen.
»Das Terraforming hat sich auch hier niedergeschlagen…«, stieß Maya hervor.
Moose, Flechten, Farne, Sukkulenten, Schachtelhalme, Palmfarne, niedrig wachsende Nadelgehölze und Gingkos. Ein Gemälde aus lebendigem Grün und erstarrtem Rot.
Während die meisten sich nicht satt sehen konnten, war Rasfar Jakob – mit kaum geringerer Begeisterung – tief beschäftigt mit seinen Messanzeigen. Schließlich wandte er sich an Windtänzer.
»Kein Wunder, dass ihr die Gegend für verflucht haltet«, sagte er. »Wir sollten uns einmal ausführlicher darüber unterhalten, welche genaue Beziehung ihr Waldleute zur Natur des Mars habt und woher ihr dieses Wissen bezieht.«
»Welches Wissen?«, fragte Matt neugierig.
Der dünne spitznasige Wissenschaftler wandte sich ihm zu.
»Ich messe radioaktive Strahlung, deren Zusammensetzung ich allerdings mit diesem Gerät nicht spezifizieren kann. Aber das würde unter anderem das ausgeprägte Pflanzenwachstum hier erklären. Zudem haben wir es mit einem Mikroklima zu tun – dort unten ist es um mehr als fünf Grad wärmer als hier oben, zumindest bis zu einer messbaren Tiefe von einhundert Metern. Weiter unten kann es noch wärmer sein. Der Dunst zeigt eine hohe Luftfeuchtigkeit an und beweist schon optisch, dass es hier jede Menge Möglichkeiten zur Entfaltung von Leben gibt.«
»Wie hoch ist die Strahlung?«, wollte Maya wissen.
»Für unseren kurzen Aufenthalt ungefährlich«, antwortete Rasfar. »Aber auf Dauer gesehen würde ich sagen, dass sie jede Menge Mutationen und Krankheiten bewirken kann.« Er deutete auf seinen Minicomp. »Die Biowerte sind enorm hoch. Was immer da unten lebt, es ist zahlreich und für uns absolut fremd. Wenn wir Glück haben, sind es nur niedere Formen: Würmer, Einzeller, Insekten.«
Matt war nicht der Einzige, der Windtänzer jetzt mit anderen Augen betrachtete. Bisher hatte man das spirituelle Gerede der Waldleute eher belächelt und als schrulligen Glauben abgetan, vielleicht auch als gewisse Übersensibilität bei besonders fein ausgeprägten, nicht von der Technik verwöhnten Sinnen angesehen. Jetzt musste man sich fragen, wie tief die Bindung dieser Menschen an den Planeten
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