1623 - Der Zombie-Rabe
Mulde. Sie war recht geräumig, fast ein kleiner Talkessel, und sie war vom Schnee befreit.
Harry stellte mir die Männer namentlich vor.
Urs Hoffmann, der mit seinen blonden Haaren aussah wie ein Recke aus der Wikingerzeit, hockte am Boden und schüttelte immer wieder den Kopf. Ich sah auch, dass er die Lippen bewegte. Nur war kein Laut zu hören. Er sprach mit sich selbst.
Sein Freund Mario Montini war das glatte Gegenteil von ihm. Dunkelhaarig, von der Körpergröße her kleiner, aber doch recht kompakt gebaut.
Ein kräftiger Mann, der in diesem Moment allerdings schwach wirkte und etwas in sich gesunken auf der Stelle stand, wobei er immer wieder den Kopf schüttelte.
Ich wandte mich an Harry und Suko.
»Na, habt ihr schon etwas herausgefunden?«
»Ja, haben wir.« Harry nickte und hob danach die Schultern. »Die Männer hier stehen zwar nicht unter Schock, aber es fällt ihnen doch schwer, das nachzuvollziehen, was sie erlebt haben. Das hat sie völlig unvorbereitet getroffen.«
»Bist du sicher?«
»Das haben sie jedenfalls gesagt. Warum sollten sie lügen, John? Sie wären bestimmt nicht mit auf den Berg hier gegangen, wenn sie gewusst hätten, was sie erwartete.«
»Was hat man ihnen denn gesagt?«
»Das weiß ich nicht. Ich bin noch nicht dazu gekommen, sie danach zu frag en. Aber sie haben Fabricius vertraut.«
»Was wohl nicht gut war«, sagte ich.
»Eben.«
Harry hob die Schultern. »Ich denke schon, dass wir in den nächsten Minuten mit ihnen reden können. Es ist ja nicht leicht für sie, so etwas zu verkraften. Sie haben sich auf Fabricius verlassen.«
»Dann fragen wir sie, was sie genau hier gewollt haben.«
Harry war einverstanden.
Suko sagte: »Ich mache mal den Wachtposten.« Er nickte uns zu und kletterte aus der Mulde, um eine bessere Übersicht zu haben.
Harry und ich blieben mit den beiden Bergfreunden zurück. Ich stellte mich vor, was sie zur Kenntnis nahmen, erklärte aber nicht, welch einem Beruf ich nachging.
»Kommen Sie denn aus London?«, fragte Urs Hoffmann.
»Ja.«
In seinen Augen blitzte es. »Wir haben einen Freund, der auch in der Nähe von London wohnt und…« Als er meinen Gesichtsausdruck sah, hörte er auf zu sprechen und musste sich erst sammeln, bevor er fragte: »Ist das wirklich mit Todd Hayes passiert?«
Ich nickte.
Hofmann schüttelte sich. »Das ist furchtbar. Wenn ich mir vorstelle, dass die Raben auch uns…«
Er verstummte und ich sah, dass das Grauen ihn gepackt hatte.
Mario Montini hatte uns zugehört. Er stand neben seinem Freund, bekam große Augen, und sein Gesicht verlor ein wenig von der gesunden Farbe. Aber er konnte einen Kommentar abgeben und flüsterte: »Erst Michael, dann Todd und jetzt…?« Er trat mit dem Fuß auf. »Verdammt, auch wir sollten sterben.«
»Danach hat es ausgesehen«, sagte ich.
»Und dafür muss es Gründe geben«, flüsterte er. »Aber ich kenne sie nicht. Ich kann mir auch keine vorstellen.«
Harry fragte: »Was ist mit Fabricius?«
Die Freunde schwiegen.
Da hatte Harry ein Thema angesprochen, das bei ihnen keine Begeisterung auslöste. Es war für sie wie ein Schlag gegen den Kopf.
Sie hatten Fabricius vertraut und jetzt das.
Aber was hatte er ihnen gesagt? Wie hatte er es geschafft, ihr Vertrauen zu gewinnen? Genau das interessierte mich, und deshalb wollte ich auch die entsprechenden Antworten hören.
»Ich denke, dass es hier einzig und allein um Fabricius geht, meine Herren. Welches Verhältnis hatten Sie zu ihm?«
»Wir waren Freunde«, erklärte Urs Hoffmann. »Wir waren wirklich Freunde. Er hat uns - ich will mal sagen - aufgeklärt. Er ist derjenige gewesen, der uns diese Landschaft hier nahe gebracht hat. Er kannte jeden Berg. Er ließ es nicht dabei bewenden. Für ihn war der Corvatsch mehr als nur ein Berg für Wanderer und Skiläufer. Er war davon überzeugt, dass er voller Geheimnisse steckte, und ich glaube, dass dies auch der Fall gewesen ist. Da brauche ich nur an diesen riesigen Raben zu denken, der hier in der Mulde stand.«
»Haben Sie jemals von ihm gehört?«, fragte ich. »Hat Fabricius Sie schon zuvor eingeweiht?«
Die beiden Männer schüttelten den Kopf.
Harry wollte wissen, wie man sie denn gelockt hatte. »Sag du es, Urs.«
Hoffmann nickte und sprach weiter. Aber nicht mehr so schnell und flüssig, als wäre ihm das, was er sagen wollte, ein wenig peinlich.
»Fabricius sprach von einem verborgenen Wissen und ungewöhnlichen Kräften, die in diesem Berg steckten. Er
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