163 - Der Flaschenteufel
vorbei.
Und doch war er hier. Es gab keinen Zweifel.
Angelina lachte schrill auf. Vielleicht konnte sie sich den Flug nach Arabien sparen! Hier bekam sie aus unerfindlichen Gründen Dorian Hunter förmlich frei Haus geliefert!
Und sie nutzte die Gelegenheit und schlug sofort zu.
Dorian sah die Frau im Hoteleingang auftauchen, nur wenige Dutzend Meter von ihm entfernt. Im gleichen Moment zuckte der Kommandostab in seiner Hand. Er spürte dämonische Kräfte.
Dorian erkannte die junge Frau. Das lange schockrote Haar war unverkennbar. Es war nicht gefärbt, sondern echt; das einzige Merkmal, das die Dämonin bei der Verwandlung in Mädchengestalt nicht verändern konnte. Es war ihr Markenzeichen, verriet sie aber zugleich auch.
Angelina!
Dorian unterdrückte eine Verwünschung. Zwar hatte er damit rechnen müssen, auf sie zu treffen. Aber daß das ausgerechnet jetzt der Fall war, paßte ihm überhaupt nicht ins Konzept. Er war mit seinen Gedanken bei Coco und den Magnetfeldern, irgendwo in Arabien saß dieser Akbar, und jetzt tauchte Angelina auf, die Rachsüchtige!
Dorian wäre der bevorstehenden Auseinandersetzung mit ihr gern ausgewichen. Aber sie hatte ihn längst entdeckt, das bewies ihr triumphierendes Lachen. Der Dämonenkiller war stehengeblieben und wartete ab, was sie tun würde. Er bezweifelte, daß sie ihn am hellen Tag auf offener Straße angriff. Sie würde sich etwas anderes einfallen lassen. Rasch schob er den Kommandostab zusammen und ließ ihn in der Tasche verschwinden; der Zirkel befand sich in seiner Reisetasche. Bis auf die hatte er jetzt die Hände frei und konnte die Reisetasche selbst notfalls durch ihr Gewicht als Waffe einsetzen. Wenn er sie jemandem an den Kopf schleuderte, bekam der mit Sicherheit Mühe, schnell wieder aufzustehen.
Angelina hob die Arme.
„Packt ihn!" rief sie über die Straße hinweg.
Da wußte Dorian, daß es ein Fehler gewesen war, stehenzubleiben. Er hätte verschwinden sollen, solange er es noch konnte. Angelina besaß Helfer. Sie tauchten aus einer dunklen Nische zwischen zwei Häusern auf und griffen sofort an. Dorian wirbelte herum. Den einen schlug er mit der Tasche nieder, der andere war schon zu nah. Dorian sah die Fäuste heranfliegen. Der Angriff war zu überraschend gekommen, als daß er seine Judo-Künste hätte einsetzen können. Der erste Faustschlag raubte ihm die Luft zum Atmen und ließ ihn vornüber zusammenknicken; der zweite nahm ihm die Besinnung. Harte Fäuste packten zu und zerrten ihn in das Dunkel der Nische.
Er nahm nicht mehr wahr, daß Angelina eine Lücke im Verkehr nutzte, um den Entführern zu folgen.
Und keiner der Menschen auf der Straße oder hinter den Fenstern schien etwas gesehen zu haben, niemand griff ein oder rief nach den Carabinieri. Verbrechen waren auch im Jahr 1986 in Neapel noch an der Tagesordnung, und für die Menschen hier war es allenfalls ein blitzschneller Auftritt von Angehörigen der Camorra. Und mit der legte man sich besser erst gar nicht an…
Als Dorian wieder aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte, fand er sich an Händen und Füßen gefesselt. Man hatte ihm Eisenschellen angelegt und mit Ketten verbunden. Die Ketten führten, wie er feststellte, unter dem Bett hindurch, auf dem er lag. Da war also nichts zu machen. Aus eigener Kraft kam er hier nicht los.
Er befand sich in einem Hotelzimmer. Von den beiden Männern, die ihn überfallen hatten, war nichts zu sehen, auch nicht von Angelina. Dennoch zweifelte der Dämonenkiller keine Sekunde daran, daß er sich in dem Hotel befand, in dem sich die Teufelin einquartiert haben mußte.
Ein wenig wunderte es ihn, daß sich Angelina zweier normaler Menschen bediente. Bisher hatte Dorian immer geglaubt, daß die Dämonen einem bestimmten Ehrenkodex folgten, sofern man bei ihnen überhaupt von Ehre reden konnte: Sie setzten ihre Magie gegen ihre Gegner ein. Bisher hatten sie immer versucht, ihn und seine Gefährten mit magischen Mitteln zu bezwingen. Daß hier zwei Menschen, vermutlich zwei kleine Gauner aus dem Sumpf der neapolitanischen Unterwelt, eingesetzt worden waren, bewies, daß Angelina mit den alten Traditionen brach und neue Wege beschritt. Das machte sie nur um so gefährlicher, denn dadurch wurde sie unberechenbar.
Probeweise zerrte Dorian an den Ketten, aber sie gaben nicht nach. Wenn er entfliehen wollte, konnte er das höchstens kriechend tun, mit dem Bett auf dem Rücken - und selbst das funktionierte nicht, weil er dann unter dem
Weitere Kostenlose Bücher