1631 - Die Taiga-Göttin
Und das werden wir für eine Weile auch so belassen.«
Helen reckte ihr Kinn vor. »Dann kann ich davon ausgehen, dass du länger hier im Haus bleiben willst?«
»Ich weiß es noch nicht. Es kommt darauf an, wie sich die Dinge entwickeln.«
»Hast du eine Ahnung?«
Igor schüttelte den Kopf. Er schaute seiner Frau zu, die zum Kühlschrank ging und eine Flasche Wasser hervorholte. Dann holte sie ein Glas, stellte beides auf den Tisch und schaute ihren Mann an.
»Es wird eine schlimme Zeit werden«, flüsterte sie. »Ich fürchte mich, das gebe ich gern zu. Aber ich fürchte mich weniger um uns. Es geht mir um Pavel. Um ihn mache ich mir die größten Sorgen. Ich bin nur froh, dass er in Ruhe spielt. Manchmal haben diese elektronischen Dinger doch was für sich.«
Sarow lächelte, bevor er sagte: »Ich will dir ja keine Ratschläge geben, aber wäre es nicht besser, wenn einer von uns beiden bei Pavel bleibt?«
Helen deutete auf die Flasche und das Glas. »Das hatte ich vor. Pavel sollte beides bekommen.«
»Gut. Dann bleibe ich hier unten.«
»Und was tust du?«
Er verzog den Mund. »Nichts, gar nichts. Ich werde einfach nur hier unten bleiben. Das ist alles.«
»Du gehst nicht raus?«
»Gott behüte. Ich bleibe hier.« Er lächelte. »Schließlich ist das Haus so etwas wie unsere Festung.«
Helen nickte und griff nach der Flasche und dem leeren Glas, als das Telefon erneut anschlug.
Beide Sarows zuckten zusammen und starrten den alten Apparat an, als könnte er ihnen eine Antwort geben, wer da etwas von ihnen wollte.
Igor war blass geworden. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er wusste nicht, ob er abheben sollte oder nicht.
Seine Frau war schneller. Helen hatte den Apparat Sekunden später erreicht.
Sie presste den Hörer gegen ihr Ohr und wollte etwas sagen, doch der Anrufer war schneller.
Er sprach so laut, dass auch Igor alles verstand.
»Keiner entkommt der Göttin!«
Es war nur ein Satz, doch der sorgte bei beiden Sarows für Schockwellen.
Helen stand da und hielt den Hörer fest, als könnte sie sich nicht von ihm trennen. Schweiß glitzerte auf ihrer Stirn, und mühsam formulierte sie eine Frage.
»Du hast es gehört, Igor?«
»Habe ich.«
»Dann kannst du mir sicher auch verraten, was dieser Satz bedeutet.«
Igor schluckte und presste die Lippen fest zusammen. Er war noch nicht fähig, eine Antwort zu geben.
Helen hatte sich eher gefangen. »Was hast du mit einer Göttin zu tun, Igor?«
»Nichts.«
»Lüg nicht«, erklärte sie mit schriller Stimme. »Du hast etwas damit zu tun! Du weißt Bescheid! Du willst es nur nicht sagen, weil du auch Angst vor mir hast.«
Sarow quälte sich. Er wischte den Schweiß von seiner Stirn und wusste nicht so recht, wohin er schauen sollte.
»Es war alles umsonst«, flüsterte Helen, »unsere Flucht hat nichts gebracht. Wer immer sich hinter der anderen Seite verbirgt, man hat uns gefunden. Und man wird dafür sorgen, dass wir hier nicht wegkommen. Deine Göttin!«
»Es ist nicht meine Göttin, verdammt!«
Helen funkelte ihre Mann an. »Schrei nicht so! Wie soll ich das sonst verstehen?«
»Aber es ist vorbei.«
»Was? Soll ich lachen? Es ist nichts vorbei, gar nichts!«
»Ja, ich weiß. Es gibt die Göttin. Ich habe - ach Gott - das ist so lange her. Es war in der Heimat. Da haben wir uns zusammengefunden, um ihr zu dienen und ihr die Treue zu schwören. Ein besonderer Spaß unter Männern, haben wir gedacht. Da habe ich auch mitgemacht.«
»Und wer noch?«
»Einige aus dem Semester. Wir haben uns vom Pakt mit der Taiga-Göttin Erfolg und ein gutes Leben erhofft. Es waren nur wenige Treffen gewesen. Mehr als dreimal sind wir nicht zusammengekommen. Du weißt ja, wie das ist. Man vergisst gewisse Dinge im Leben. Das ist auch bei der Göttin so gewesen.«
»Sie hat euch aber nicht vergessen. Ist das richtig?«
»Ja, das muss man so sehen. Sie hat sich wieder gemeldet. Nicht bei mir, sondern bei anderen. Sie hat ihre Forderungen gestellt, aber ich habe mich geweigert. Und genau das kann eine Göttin nicht vertragen, verstehst du?«
»Ich begreife es allmählich. Was solltet ihr für sie tun?«
»Nichts.«
Helen schlug mit der Faust auf den Tisch. »Das kannst du mir nicht erzählen! Das glaube ich dir nicht!«
»Es ist aber so!«, brüllte er zurück. »Etwas anderes kann ich dir nicht sagen. Diejenigen, die ihr dienen wollten, werden wie sie. Sie baten darum, dass ihr Geist über sie kam und sie beflügelte. Sie war für einige
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