1631 - Die Taiga-Göttin
Doch darum durfte er sich nicht kümmern. Während er sich erhob, gelang ihm ein Blick auf seine Frau, die sich nicht von der Stelle gerührt hatte. Sie stand dort wie festgewachsen, war innerlich verkrampft, und das starre Gesicht mit den starren Augen sprach Bände.
Er musste ihr einfach zulächeln, auch wenn es ihm schwerfiel. Helen hatte recht. Die Hoffnung starb zuletzt. Noch lebten er und seine Frau, und das sollte auch so bleiben.
Etwas hatte sich in seiner Nähe verändert. Igor merkte es erst, als er normal stand und sich umschauen konnte.
Fünf Gestalten waren es, die einen Kreis um ihn herum gebildet hatten. An eine Flucht war beim besten Willen nicht zu denken. Er würde hier auf der Lichtung bleiben müssen. Sein Schicksal lag in den Händen der Männer, denen er jetzt in die Gesichter schaute.
Trotz der Verkleidung waren sie gut zu erkennen. Bekannte Gesichter von Männern, die nur in den letzten Jahren älter geworden waren, ebenso wie er.
Einer arbeitete in der Botschaft. Er hatte den gleichen Rang wie Igor.
Er hieß Bodgan Furkow und war der stellvertretende Sicherheitschef. Ein breitschultriger Mann mit einem dichten braunen Vollbart. Eigentlich hatte sich Sarow mit ihm stets gut verstanden. Das war nun nicht mehr so. Er war von Furkow enttäuscht, der den Blick seiner dunklen Augen auf ihn richtete und in dieser Runde offenbar den Anführer spielte.
»Da bist du ja, Igor. Der Letzte in der Runde, der uns noch gefehlt hat.« Er hob die Schultern. »Es ist schade, dass alles so laufen musste.«
»Was wollt ihr von mir?«, flüsterte Igor. »Warum lasst ihr mich nicht in Ruhe?«
»Das ist doch einfach. Du gehörst zu uns, Igor. Denk mal an damals, als wir noch jünger waren und nach dem Besonderen suchten, das es in unserer Welt gibt.«
»Es war eine Spielerei.«
»Was? Ich glaube, die letzten Jahre haben dir den Verstand vernagelt.«
»Nein, ich bin nur wieder normal geworden. Ich habe geheiratet, ich bin Vater geworden, und dafür lohnt es sich zu leben. Nicht für das, was wir uns damals zusammengesponnen haben.«
Igor Sarow war stolz auf sich, diese Worte gefunden zu haben. Jetzt konnten sie mit ihm machen, was sie wollten.
Furkow nickte und sagte dann: »Es war mir klar, dass du so etwas sagen würdest. Du hast dich auch unserem Mann gegenüber so verhalten, als er dich auf die richtige Spur bringen wollte.«
»Ich habe ihn nicht getötet, obwohl er mich in meinem Wagen überfiel. Das will ich nur mal festhalten.«
»Ja, du hattest einen Helfer. Da hat sich das Schicksal auf deine Seite gestellt. Wir behalten den Mann im Auge, der auch noch für den Tod eines zweiten Freundes verantwortlich ist. Aber erst einmal sind wir froh, dass du wieder bei uns bist. Du stehst im Kreis, und auch deine Frau wird zuschauen, wenn du die Weihe der Göttin empfängst. Wir haben sie schon längst erhalten. Nur du fehlst noch.«
»Nein.« Igor blieb stark. »Ich werde diesen Weg nicht gehen. Auch fühle ich mich nicht mehr dem verpflichtet, was ich vor Jahren einmal gesagt oder getan habe.«
»Es war ein Schwur!«
»Na und?«
»Ein Schwur gilt bis zum Tod des Schwörenden. Das hast du alles gewusst.«
»Aber vergessen.«
Furkows Augen verengten sich. »Dann bist du auch nicht bereit, die Macht der Göttin in dich aufzunehmen, wenn sie ihr dämonisches Reich verlässt und sich deiner annehmen will? Ist das so?«
»Ich denke schon.«
»Gut, ich habe deine Meinung gehört. Ich spreche hier für die anderen Freunde mit. Wer sich gegen die Göttin stellt, wird es mit seinem Leben bezahlen.«
Igor spürte, wie ihn eine eisige Kälte erfasste. Er wollte zu seiner Frau hinschauen, und als er das schaffte, da sah er ihren leidenden Gesichtsausdruck.
Er hatte vorgehabt, sich zu wehren, was nun nicht mehr möglich war, weil sich sein Körper anfühlte, als wäre er mit Blei gefüllt.
»Ihr wollt mich töten?«
»Wir müssen es, damit unser Geheimnis gewahrt bleibt. Es ist schon zu viel nach außen gedrungen. Wir wollen, dass die Welt nicht noch mehr davon erfährt.«
»Willst du mich töten, Bogdan?«
»Nein!«
»Ha, du bist feige?«
»Ich würde es tun, doch ich überlasse es einer anderen Person, die unsere Königin ist. Wir haben sie aus ihrer Lethargie erweckt, wir haben das Wissen der alten Schamanen nicht vergessen. Wir haben uns daran erinnert, aber das muss ich dir nicht erst sagen. Du bist selbst dabei gewesen. Du warst damals so begierig darauf, eine Verbindung mit der Taiga-Göttin
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