1641 - Die Blutmaske
Womöglich waren es doch die latent vorhandenen Hexenkräfte gewesen, die durch das Eingreifen des Geistes wieder aktiviert worden waren.
Sie war es gewohnt, selbst zu agieren. Tun und lassen zu können, was sie wollte. Das konnte sie sich jetzt abschminken. Sie stand auf der Stelle, hielt den Dolch in der Hand und machte den Eindruck einer Person, sie nicht wusste, was sie tun sollte, und die deshalb darauf wartete, dass etwas passierte.
Genau das dachte auch Justine Cavallo. Sie hielt sich ein paar Schritte von Jane entfernt auf, beobachtete sie und war sich selbst nicht klar darüber, was sie unternehmen sollte. Okay, sie hatte alles in Bewegung gebracht, aber es gefiel ihr überhaupt nicht, dass ihr die Kontrolle der Situation aus der Hand genommen worden war. Sie hatte Mühe, ihren Frust zu unterdrücken und nicht einzugreifen.
Plötzlich zuckte Jane Collins zusammen. Dafür gab es einen Grund, denn sie hatte erneut die Stimme der längst toten Gabriela Scotti gehört.
Sie war zu einem Flüstern abgesunken, und Jane wollte es kaum glauben, was man ihr gesagt hatte.
In ihrem Kopf wiederholten sich die Sätze. Fast jedes Detail fiel ihr ein.
Ihr war gesagt worden, dass sie als Hexe die Blutsauger hassen musste.
Sie waren schon immer Feinde gewesen, und das seit alters her. Wie es weiterging, wusste Jane nicht, denn der Geist hatte eine Pause eingelegt. Wenig später war die Stimme wieder da.
»Und weil der Hass so groß ist, haben wir uns geschworen, die Blutsauger dort zu vernichten, wo wir sie finden. Du weißt, dass in deiner Nähe eine liegt, die darauf wartet, erlöst zu werden. Und genau das wirst du tun. Erlöse sie!«
Jane hatte alles verstanden. Sie wusste auch, wer gemeint war, und musste sich nur leicht drehen, um dorthin schauen zu können, wo die Blutsaugerin unter einer Decke lag.
»Ja, dort musst du hin.«
»Wann?«, hauchte sie.
»Sofort. Du darfst keine Zeit verlieren. Ich will, dass du diese Blutsaugerin erlöst. Und wenn du das geschafft hast, kannst du dich der anderen zuwenden.«
»Ja, das tue ich.«
Jane hatte die Antwort gegeben, ohne direkt darüber nachzudenken. Es war ihr alles gleich geworden. Es gab keine anderen Ziele als nur noch das eine, das sie tun sollte.
Um Justine Cavallo kümmerte sich die Detektivin nicht. Die war für sie so gut wie nicht mehr vorhanden. Ihr Weg führte sie in den anderen Teil des Zimmers, und sie ging ihn mit Bewegungen, die an die eines Roboters erinnerten.
Das überraschte selbst die Cavallo. In den ersten Sekunden nach dem Start tat sie nichts. Sie blickte auf Janes Rücken, aber schnell wurde ihr klar, was diese vorhatte. Ihr Besuch galt der Vampirin, und da fing sie an zu überlegen.
Ihr war klar, dass Jane einen Befehl erhalten hatte. Sie wusste auch, wie Hexen und Vampire zueinander standen, dass sie sich gegenseitig hassten, denn das hatte die Cavallo schon mehrmals in der Praxis erlebt. Für sie war Jane Collins zu einem Werkzeug der Scotti geworden, was sie im Prinzip sogar befürwortet hatte, doch jetzt lief es darauf hinaus, dass sie die Kontrolle verlor, und das konnte eine Cavallo nicht hinnehmen.
»Jane!«, rief sie scharf.
Die Detektivin ließ sich nicht stören und tat, was man ihr befohlen hatte.
Sie sah nur noch die Gestalt unter der Decke, die sich nicht bewegte.
Neben ihr blieb Jane stehen.
Noch war das Gesicht nicht zu sehen. Der Körper zeichnete sich schwach unter der Decke ab. Den Dolch hielt sie stoßbereit in der rechten Hand, aber noch zielte die Spitze nicht auf die Gestalt unter der Decke.
Jane zögerte nicht mehr. Mit der freien Hand fasste sie zu und zerrte mit einer wilden Bewegung die Decke vom Körper der leblosen Gestalt.
Claudine van Straaten lag auf dem Rücken. Die Augen hatte sie nicht geschlossen. Sie waren weit geöffnet und starrten mit einem leeren Blick gegen die Zimmerdecke. Früher hatte sie als Domina ihr Geld verdient, das war jetzt vorbei. Nur noch ihre seltsamen Geräte umgaben sie.
Sie trug noch die Uniform, was so etwas wie ein Markenzeichen für sie war. Jacke und Rock. Dazu die hochhackigen Schuhe. Beim Oberteil waren einige Knöpfe geöffnet, sodass der Ansatz ihrer Brüste zu sehen war. Sie atmete nicht. Jeder normale Mensch wäre bei ihrem Anblick davon ausgegangen, dass ein toter Mensch vor ihm lag.
Das war Claudine nicht. Claudine van Straaten befand sich auf dem Weg in eine neue Existenz.
Als Jane Collins genauer hinschaute, da bemerkte sie, dass die Finger der Vampirin
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