1648 - Geister der Vergangenheit
drückte.
Der wie eine Glastulpe aussehende Schirm erhellte sich. Er riss nicht viel aus der Dunkelheit, aber ihren Mann konnte Martine sehen. Er hatte seine Haltung nicht verändert und saß noch immer wie erstarrt in seiner Betthälfte.
Das wäre nicht mal so besorgniserregend für sie gewesen, ihr fiel nur etwas anderes auf. Zum einen die verkrampfte Haltung, und zum anderen das mit Schweiß überdeckte und glänzende Gesicht. So etwas bei Marc zu sehen war ihr völlig fremd.
Sie fasste nach seinem Arm und spürte die Feuchtigkeit ari ihren Finger.
»Was ist los mit dir?«
»Nichts, Martine, nichts.«
Das glaubte sie nicht. »Bitte, Marc, lüg mich nicht an. Du bist schweißgebadet.«
»Ja, ja…«
»Das kenne ich nicht von dir.«
Er gab einen Laut von sich, der so etwas wie ein Lachen sein sollte. Dann flüsterte er: »Ich habe schlecht geträumt, Martine, wirklich. Es war ein böser Albtraum.« Bei dieser Antwort stierte er zum Bettende hin, aber dort war wieder alles normal geworden. Dort standen keine geisterhaften Gestalten mehr.
Martine baute ihrem Mann eine Brücke, als sie fragte: »Ist es wegen Chiara gewesen?«
Marc Duras gab die Antwort spontan, als hätte er darauf gewartet, diese Frage zu hören.
»Ja, ja, du hast recht. Es war wegen Chiara. Es war wegen ihr. Sie - ich - ich kann sie nicht vergessen. Das ist grauenhaft, ich weiß, aber ich komme nicht darüber weg.«
»Schon gut.« Sie rückte näher an ihn heran, um ihn zu umarmen. »Ich kann dich verstehen, Marc. Sehr gut sogar. Du weißt, dass auch ich nicht vergessen kann…«
Marc wollte seine Frau beruhigen und sagte: »Es ist nicht so schlimm gewesen. Ich habe mich nur erschreckt. Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.«
»Unsinn, Was soll das denn? Nein, das ist schon gut so gewesen. Wir müssen zusammenhalten.«
»Aber das tun wir doch.«
Sie ließ nicht locker. »Versprichst du mir das?«
»Immer, wenn du willst. Egal, was passiert.«
»Danke.«
Marc wurde von seinen Gefühlen überwältigt. Er rückte nach links und umarmte Martine so stark, wie er es selten in seinem Leben getan hatte.
Minutenlang blieben sie in dieser Haltung. Jeder von ihnen gab sich seinen Erinnerungen hin. Nur ahnte Martine Duras nicht, welche Gedanken ihren Mann beschäftigten.
Marc wusste, dass er nicht das Ende erlebt hatte, sondern einen Anfang.
Die Geister waren da, auch wenn er nicht an sie geglaubt hatte. Und er wusste, dass sie ihn nicht in Ruhe lassen würden…
***
Neben mir hörte ich das leise Atmen meines Freundes und Kollegen Suko, während sich die Maschine schon im Sinkflug befand und in gut einer Viertelstunde in Paris landen würde.
Schottland lag hinter mir und jetzt Paris.
Es ging hin und her, denn kaum war ich wieder in London eingetroffen, da hatte ich mit meinem französischen Kollegen Voltaire telefoniert, der mich um Hilfe gebeten hatte.
»Es geht um einen zehnfachen Mord, John!«
Diese Eröffnung hatte mich nicht nur erschreckt, sie war mir auf den Magen geschlagen, und ich hatte es erst nicht glauben wollen, aber der gute Kommissar hatte seinen Satz wiederholt, und da wusste ich, dass ich mich dieser Realität stellen musste.
»Und wer ist getötet worden? Oder anders gefragt, was habe ich damit zu tun?«
»Ich weiß es noch nicht, ich möchte mir nur sicher sein, keinen Fehler begangen zu haben. Vorweg gesagt, John, es war kein Amoklauf, sondern eine präzise vorbereitete Tat.«
»Eine Hinrichtung?«
»So ähnlich.«
»Und weiter?«
»Die Getöteten sind zwar normale Menschen gewesen, aber das war nicht alles. Sie hatten sich in einem Keller versammelt, in dem wir einen Altar fanden, und neben ihm lag eine junge und völlig verstörte junge Frau, die uns später erklärte, dass sie geopfert werden sollte. Ein Schwert sollte durch ihre Brust dringen und das Herz zerstören. Dazu ist es nicht gekommen. Jemand erschien und hat die Mitglieder dieser Sekte oder dieses Geheimbundes getötet.«
»Wer ist das gewesen?«
»Wenn ich das wüsste, ginge es mir besser.«
»Moment, du hast eine Zeugin.«
»Nicht wirklich, John.«
»Und warum nicht?«
»Es ist alles zu viel für sie gewesen. Sie befand sich in einem Ausnahmezustand und hat so gut wie nichts mitbekommen. Die Schüsse hörte sie. Dass man sie befreit hatte, wurde ihr erst später bewusst.«
»Und habt ihr eine Spur von dem Killer?«
»Nein. Aber er hat eine Maske getragen, daran konnte sich die junge Frau erinnern.«
»Dann sollen wir dir also
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