1649 - Niemals sterben
verändert hatte.
Der Mann lag auf dem Boden. Nichts an ihm bewegte sich mehr. So konnte nur ein Toter liegen. Dennoch würde er wieder erwachen und in ein neues Leben treten, als Vampir auf die Suche nach Blut gehen und so eine Gefahr für die Menschheit bilden.
Justine Cavallo wischte die letzten Blutstropfen von ihren Lippen. Dann nickte sie Marlene zu.
»Du hast zugeschaut?«
Marlene nickte nur.
Lässig hob die Cavallo die Schultern und sah sich dabei in dem karg eingerichteten Zimmer um. »Es musste sein.«
»Wieso?« Die Frage war nur ein Hauch.
»Weil ich Durst hatte und weiterhin meine Kraft behalten möchte. Deshalb.«
Marlene starrte aus großen Augen und mit offenem Mund ins Leere.
»Aber du hast ihn zu einem Vampir gemacht«, flüsterte sie.
Die Cavallo grinste breit. »Ja, das habe ich getan. Das hat er verdient.«
Marlenes Augen weiteten sich noch mehr. »Du wolltest ihm das ewige Leben geben?«
»Nein, meine Liebe, das habe ich nicht gesagt.«
»Aber du hast es getan!«
Die Cavallo nickte locker. »Das stimmt. Ich musste es tun. Das war wichtig für mich. Ich hatte Hunger, ich brauchte Blut, und das habe ich mir genommen.«
Marlene konnte kaum glauben, was sie da zu hören bekam. Sie kam sich vor, als wäre sie in eine fremde Welt entführt worden. Eine derartige Entwicklung hätte sie niemals voraussehen können. Das war einfach Wahnsinn und nicht zu erklären.
Allmählich stieg wieder die Angst in ihr hoch. Wer sagte ihr denn, dass diese Unperson tatsächlich satt war und sie nicht noch einen Nachschlag brauchte? Der Gedanke wollte sie nicht loslassen, und sie überlegte, ob sie das Thema ansprechen sollte.
»Ich rieche deine Angst vor mir«, erklärte die Cavallo. »Aber ich kann dich beruhigen. Ich stehe auf deiner Seite. Du darfst dein Blut behalten und weiterhin als Mensch leben.«
Marlene wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie war völlig von der Rolle.
Sie starrte den Toten an. Sie wusste, dass er sich bald bewegen würde, um als Vampir auf Blutsuche zu gehen. Hatte diese Blonde das wirklich gewollt?
Bevor Marlene die entsprechende Frage über die Lippen bringen konnte, lächelte die Blonde ihr zu und sagte einen Satz, der beinahe schon nach Freundschaft klang.
»Ich heiße übrigens Justine Cavallo.«
Ein Nicken. Dann das Flüstern. »Ich bin Marlene Dawson.«
Justine reichte ihr die Hand, die die junge Frau nur zögerlich berührte.
Als sie es tat, da stellte sie fest, dass die Hand zwar normal aussah, aber das war auch alles. Es war keine Wärme und keine Kälte an der Haut zu Spüren. Man konnte sie als neutral bezeichnen.
Justine zog ihre Hand wieder zurück. Mit einem Blick auf Hank fragte sie:
»Du hast noch immer Probleme mit seiner neuen Existenz. Oder liege ich da falsch?«
»Nein.«
»Ich will offen zu dir sein. Es wäre fatal, wenn er als Vampir erwachen würde. Da hast du schon recht. Aber dazu wird es nicht kommen, das kann ich dir versprechen. Ich will nicht, dass er zu uns gehört, und deshalb muss ich das ändern.«
»Wie denn?«
Die Cavallo gab ihr keine Antwort. Dafür griff sie unter ihre Kleidung.
Marlene erkannte die Waffe in der Hand der Blonden. Und die war nicht von schlechten Eltern. Ob sie aus Holz oder Metall bestand, war nicht zu erkennen. Wichtig war das vordere Ende der dunklen Waffe, das in einer Spitze zulief.
Justine hielt die Waffe hoch. »Nun? Weißt du, was ich damit vorhabe?«
Für einen Moment presste Marlene die Zähne und die Lippen zusammen.
Gewaltorgien waren ihr fremd. Hier musste sie nur eins und eins addieren, um zu einem Ergebnis zu kommen.
»Du willst ihn töten.«
»Nein, nicht töten. Ich werde ihn erlösen. Ich sorge dafür, dass er nicht mehr als Blutsauger durch die Welt geht und den Keim vermehren kann.«
»Ja, ich verstehe.«
»Gut, denn es muss sein.«
Mehr fügte die Cavallo nicht hinzu. Sie drehte sich nach links, um auf den leblosen Körper zuzugehen.
Marlene zögerte noch, ihr mit dem Blick zu folgen. Was in den letzten Minuten auf sie eingestürmt war, das konnte sie kaum verkraften. Das war zu viel gewesen, und es war noch nicht beendet.
Marlene Dawson wunderte sich über sich selbst, dass sie so ruhig dasaß und noch nicht durchgedreht war. Was sie hier an Schrecklichem erlebte, das reichte für zwei Leben.
Hinschauen oder wegsehen? Sie sah hin, und sie bekam mit, wie sich Justine neben den leblosen Körper kniete und ihre Waffe dabei in der rechten Hand hielt. Mit der anderen legte
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