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Namen, die er überprüfen wollte. Ärgerlich musste er dann feststellen, dass er sich nicht mehr auf das Thema der Predigt besinnen konnte, die Bossuet mit seiner weithin hörbaren Stimme zum Besten gab.
»Wie offenbart sich die göttliche Weisheit aber nun dem menschlichen Verstand?«, fuhr der Kanzelredner unterdessen fort. »Die Beredsamkeit ist die Verbündete der Künste, der Politik und der Poesie, kurzum aller menschlichen Bemühungen, die der Inspiration bedürfen. Hat nun diese Beredsamkeit, deren Aufgabe es ist, die Unvollkommenheit unserer Gedankengänge zu bemänteln, irgendeinen Nutzen, um die göttliche Wahrheit, die heilige Offenbarung darzutun? Ist Gott Mensch geworden, um die Bettler zu kleiden? Meine Brüder, die Antwort auf diese Fragen finden wir in der Umkehrung der Blickrichtung: Wir müssen nicht auf das Wort Gottes schauen, sondern uns denjenigen zuwenden, die es vernehmen. Das Wort Gottes braucht kein herrliches Geschmeide, es braucht vielmehr Schleier, damit sein heller Glanz die Blinden nicht erschreckt, denen es sich offenbaren will. Deshalb bedarf es der Auslegung der Heiligen Schrift: weil sie uns in ihrer absoluten Wahrhaftigkeit zu sehr blendet. Sie ist der unerschütterliche Fels, auf dem Unsere Heilige Mutter Kirche und unser Königtum errichtet sind. DieHeilige Schrift ist das Fundament, und sie begründet die Legitimität der Monarchie …«
Zufrieden packte Colbert sein Notizbuch wieder ein. Das Thema der Predigt war ihm wieder klar geworden. Dieser kleine Intrigant von Bossuet predigt also über die »Beredsamkeit in Gottes Wort«; wen glaubt er damit zu täuschen?, dachte er, außerstande, seinen eigenen Ehrgeiz nicht auf den der anderen zu übertragen. Richtet er seine Worte an den Heiligen Geist? Oder vielleicht an die Königinmutter, die in der ersten Reihe sitzt? Colbert entrüstete sich im Stillen; nur das unkontrollierbare Zucken seines Beins verriet seinen Groll. Der Teufel soll Euch holen, Monsieur Bossuet! Redet, redet nur weiter, ich bin ganz ruhig und zähle die Tage. Irgendwann rechnen wir ab. Dann werden wir ja sehen …
Colbert kniff einmal kurz die Augen zusammen, um sich zu beruhigen, und versuchte wieder der Predigt zuzuhören. Doch eine blonde Locke, die unter einer Mantille hervorlugte, lenkte ihn erneut ab. Die blasse Hand, die die rebellische Locke zurückstrich, und das leichte Drehen des Kopfes, das ein bezauberndes Profil enthüllte, bestätigten seine Vermutung: Es war Louise de La Vallière, die in einer der Kirchenbänke gegenüber der Kanzel saß. Diese kleine Gans, dachte Colbert, der keines der Worte vergessen hatte, die der König an sie gerichtet hatte, mit ihren Rehaugen sieht sie aus, als ob sie kein Wässerchen trüben könne – er kam mit seinen Gedanken ins Stottern –, und alle lassen sich davon täuschen, restlos alle, ach, das ist viel schlimmer als dieser intelligente Kerl da oben!, tobte er innerlich und blickte böse zu Bossuet hinauf. Wie auch immer, Perrault muss mir Klarheit verschaffen über diese Intrigantin und den kleinen Schauspieler … Plötzlich zuckte er zusammen: Eine Hand hatte sich auf seinen Arm gelegt.
»Perrault!«, flüsterte er mit nur mühsam gedämpfter Stimme. »Was ist passiert?«
»Neuigkeiten, Monsieur.«
Colbert rollte wütend die Augen und verzog verärgert das Gesicht, um Perrault zu verstehen zu geben, dass er höchst ungelegen kam. Der Anwalt tat indes so, als bemerkte er es nicht.
»Fouquet«, flüsterte er mit nahezu unhörbarer Stimme, »es ist Monsieur Fouquet, Euer Gnaden …«
Colbert war starr vor Schreck. Mit einer heftigen Kinnbewegung bedeutete er Perrault, mit ihm die Kirche zu verlassen.
Als die beiden Männer die Stufen zum Vorplatz hinabstiegen, zerrte ein eisiger Wind an ihren Kleidern.
»Also, was ist mit Fouquet …?«, drängte Colbert.
»Fouquet hat gestern Abend auf seinem Landsitz in Saint-Mandé den jungen Mann empfangen, über den wir gesprochen haben.«
Ein süffisantes Lächeln ging über Colberts Gesicht.
»Sie haben das Mäzenatentum und das Theater zum Vorwand genommen für ihr konspiratives Treffen. Leider konnte ich ihre Unterhaltung nicht in allen Einzelheiten …«
Ungeduldig winkte Colbert ab.
»Und der junge Mann, wer ist er?«
»Ich recherchiere noch, Euer Gnaden«, antwortete Perrault und senkte den Kopf.
Meine Intuition hat mich also nicht betrogen, dachte Colbert. Fouquet plant etwas. Er will …
»Aber was? Ich muss wissen,
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