1664 - Der Henker von Sloughar
Sloughar lag am Rand der Großen Leere und besaß keinen Mond, der das Sonnenlicht hätte reflektieren können.
Ein paar Sekunden lang blickte Alaska hinauf zum Himmel.
Es waren nur wenige Sterne zu sehen, bei weitem nicht genug, selbst für geübte Augen. Die Handscheinwerfer wurden gebraucht. „Irgendwie ist mir immer ein wenig unwohl, wenn ich keine Sterne sehen kann", murmelte Alaska. „Seltsam, nicht wahr?" Gucky nickte.
Jedes Lebewesen konnte in seiner Heimat feststellen, daß ein wesentliches Gesetz der Natur jenes des unaufhörlichen Wandels war. Das betraf den Rhythmus der Jahreszeiten, das Werden und Vergehen des Lebens ringsum. Selbst Monumente, die für eine Ewigkeit gedacht waren, unterlagen im Laufe vieler Jahrhunderte diesem Wandel, sie zerfielen langsam und unaufhörlich. Nur die Sterne schienen sich niemals zu ändern. Sie waren immer da, bewegten sich allem Anschein nach nicht, veränderten sich nie. In vielen Religionen und Glaubensrichtungen bildeten die unvergänglichen Sterne das Symbol der Unvergänglichkeit.
Aber wenn es keine Sterne zu sehen gab ...
Gucky ließ den Strahl seines Scheinwerfers langsam wandern. Der helle Lichtschein glitt über Mauerwerk hinweg, streifte Büsche und Gräser. Ein fingerlanges, echsenähnliches Geschöpf verharrte kurz, starrte erschrocken hinüber zu den beiden und huschte dann schnell davon.
Gucky ging zu der ersten Mauer hinüber, die er erreichen konnte. Aus dunkelbraunen Ziegeln war diese Mauer errichtet worden, ihre Struktur war noch genau zu erkennen.
Alaska Saedelaere lächelte.
Gleiche Probleme, gleiche Lösungen - und das Hunderte Millionen von Lichtjahren voneinander entfernt. Die Ziegel dieser Mauer waren ein Stück größer als ihre Gegenstücke, wie sie auf der Erde vielfach verwendet worden waren, aber die Proportionen waren die gleichen. Und wie auf Terra und vielen anderen Welten lag über einer Schicht der Länge nach verarbeiteter Ziegel eine Schicht, bei der die Steine quer lagen. Der klassische Blockverband aus Läufern und Bindern.
Gucky beugte sich ein wenig hinunter und betrachtete das Mauerwerk. „Keine Fugen zu erkennen", sagte er leise. „Siehst du das, dieses Gras?"
Er rupfte ein Büschel aus dem Boden. „Die Wurzeln haften im Erdreich, aber sie sind nicht in das Mauerwerk oder den Boden eingedrungen. Und hier oben, auf der Kante - ebenso. Die Erde liegt lose auf der Mauer auf, und darin wächst ebenfalls Gras. Du weißt, was das bedeutet?"
Alaska nickte langsam. „Es waren jedenfalls nicht die Pflanzen, welche die Gebäude im Laufe der Zeit auseinanderbrechen ließen", sagte er nachdenklich. „Das Material muß unglaublich fest sein."
Im Laufe seines Lebens hatte er viele Ruinen zu sehen bekommen, und er wußte, mit welch unwiderstehlicher Kraft keimende Pflanzen imstande waren, selbst zollstarke Betondecken zu durchbrechen. „Oder es ist erst kurze Zeit vergangen, seit diese Stadt dem Zerfall preisgegeben wurde."
Gucky schritt langsam weiter. Er schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht", widersprach er und deutete auf eine Häuserecke. „Sieh dir das an - diese Ecke ist rund, wie abgeschliffen. Auch die Oberkanten der Mauern sind so rund - als wären sie von Wind und Wasser viele Jahrtausende lang bearbeitet worden."
„Wasser kommt auf dieser Welt wohl kaum in Frage", erinnerte Alaska seinen Begleiter. „Es bleibt also nur der Wind."
Gucky blieb stehen und schloß für ein paar Sekunden die Augen. Alaska sah, wie der Mausbiber sich konzentrierte.
Gucky öffnete den Mund ein wenig und ballte die linke Hand zur Faust. Sein Körper spannte sich an. „Es geht nicht", sagte er dann und lockerte die Anspannung. „Ich bekomme die Steine durch Telekinese-Druck nicht voneinander getrennt, ihre Verbindung ist zu stark." Er drehte sich zu Alaska um. „Um dieses Mauerwerk so zuzurichten, sind Jahrhunderttausende nötig, wenn nicht mehr. Ich glaube, wir werden noch einige Überraschungen erleben."
Alaska lächelte sanft. „Solange es sich nur um solche Überraschungen handelt, soll's mir recht sein. Gehen wir weiter. Ich würde mir gern den Rand dieser Stadt ansehen, dort, wo sie in die Wüste übergeht. Vielleicht finden wir dort ein paar Antworten auf unsere Fragen."
Gucky zog ein skeptisches Gesicht. „Wahrscheinlich finden wir weit eher ein paar neue Fragen", vermutete er.
Langsam bewegten sich die beiden Galaktiker durch die Ruinenstadt.
Vor einer Türöffnung blieben sie stehen. „Wenn die
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