1669 - Der Kyberklon
näher kennenzulernen. Ihr habt mich richtig fasziniert."
Nadja war perplex. Eigentlich hatte sie den Mann mit ihrem Frontalangriff in Verlegenheit bringen wollen. Statt dessen hatte sie ihn vorbereitet und sogar in Erwartung eines Gesprächs vorgefunden. Die Aktivatorträgerin ließ sich auf einen Stuhl sinken, und Mila folgte wieder ihrem Beispiel.
Mila blickte in irgendeine beliebige Richtung, um nicht den Blick des Mannes kreuzen zu müssen. Die ganze Situation war zwar längst nicht so peinlich, wie sie es zuerst befürchtet hatte, aber sie verspürte weiterhin ein leises Unbehagen bei der Begegnung. „Wenn das so ist", begann Nadja gedehnt, „warum hast du uns dann nicht angesprochen? Du hast uns schon fast wie ein... wie ein Voyeur beobachtet!"
„Die Initiative mußte von euch ausgehen", gab er freimütig zurück und sah in diesem Moment Mila an. „Nur so hatte ich eine Chance. Seid doch ehrlich. Wenn ich euch direkt angequatscht hätte, hättet ihr mich gnadenlos abblitzen lassen. Das wollte ich natürlich nicht riskieren. Ich wollte einfach eure Bekanntschaft machen."
„Warum?" Nadjas Stimme klang eine Spur zu scharf. „Auch ich habe keine Freunde. Wie ihr. Weder auf der ODIN noch auf der BASIS."
„Wir schon."
„Wirklich?" Jagg hätte es spöttisch oder ungläubig klingen lassen können, aber er gab der Antwort eine Betonung, die Erleichterung ausdrückte. „Dann habe ich einen falschen Eindruck bei euch gewonnen. Es freut mich für euch, daß ich mich geirrt habe.
Aber du sprichst doch nicht von Voltago, wenn du einen Freund meinst, Nadja?"
Er sprach Nadja direkt an, obwohl die Schwestern einander wie ein Ei dem anderen glichen. Allein das zeigte schon, daß er sie wirklich eingehend studiert haben mußte, wenn er Nadja als die etwas Aufgeschlossenere von beiden identifizieren konnte. „Voltago ist überhaupt kein Thema", ergriff Mila zum erstenmal das Wort. Sie erhob sich. „Komm, Schwester, gehen wir."
„Nein, nicht, das war nicht so gemeint!" Jagomir Fremon erhob sich ebenfalls. Kurz wollte er nach ihren Händen greifen, um sie zurückzuhalten, er hielt aber im letzten Moment inne. „Ich habe doch nichts gegen Voltago. Er fasziniert mich ebenfalls, nur auf eine völlig andere Weise. Ihr dagegen ... Zu euch habe ich eine große Zuneigung.
Das klingt übertrieben. Wir kennen einander kaum. Aber so ist es nun mal. Ich kann nicht anders. Wie wär’s mit einem zweiten Anlauf?"
Mila war bereits einige Schritte vom Tisch entfernt und hörte seine letzten Worte schon gar nicht mehr. Nur Nadja war zurückgeblieben und hörte ihm höflich zu.
Als er geendet hatte, sagte sie: „Voltago ist nicht ein schwarzer Götze, den wir anbeten.
Der Klon ist eher ein Schreckgespenst für Mila. Wenn du uns vergrault hast, dann nur durch die Unverschämtheit, mit der du uns auf eine Stufe mit ihm stellst. Das schmerzt.
Wir sind keine bestaunenswerten Monster, Jagg."
Damit wandte auch sie sich von Jagomir Fremon ab -und folgte ihrer Schwester. Sie holte Mila auf dem Korridor ein. „Eigentlich ist er ganz nett", zog Nadja eine Bilanz des Gesprächs. „Meinst du nicht auch, daß seine Gesellschaft ab und zu mal ganz amüsant sein könnte? Ich würde ganz gerne mal auf andere Gedanken gebracht werden. Zwischendurch, denke ich. Was meinst du dazu, Schwester?"
Mila antwortete nicht sofort. Sie gingen eine ganze Weile schweigend durch den Korridor, bis Mila endlich das Schweigen brach. „Ja, er macht einen offenen und ehrlichen Eindruck", sagte sie nachdenklich. „Aber versprich mir, daß wir unsere Probleme und das Thema Voltago mit ihm nie erörtern werden."
„Mal sehen." Nadja nahm die Hand ihrer Schwester und drückte sie kurz. „Mach dir aber nur nichts vor, Mila."
Als die beiden ihre Kabine erreichten, stand Voltago davor. Der schwarze Kyberklon schien mit seinen klobigen Wadenblöcken wie mit dem Fußboden verschmolzen. Mila zuckte bei seinem Anblick kurz zusammen und gab einen unterdrückten Laut von sich.
Als hätte dieses Geräusch ihn aus einem Dämmerschlaf geweckt, wandte der Kyberklon sein ebenmäßiges Gesicht den Schwestern zu und blickte sie aus seinen unergründlichen, ausdruckslosen Augen an. „Tut mir leid, wenn ich euch erschrecke", sagte er mit wohlklingender, aber sehr nüchterner Stimme, die nicht wirklich Bedauern ausdrückte. „Es ist an der Zeit, ein wichtiges Thema mit euch zu besprechen."
„Wo? Hier auf dem Korridor?" fragte Nadja, die sich als erste gefaßt
Weitere Kostenlose Bücher