1676 - Im Gravo-Kubus
bin ich sicher, werden sie uns auffordern, die Spindel und das fehlende Segment zu bergen. Dann sieht die Sache ganz anders aus."
Arinu Barras zögerte und nickte. „Das klingt einleuchtend", sagte er. „Aus dem vermutlichen Blickwinkel der Theans betrachtet, ist es die bessere Lösung. Es erspart ihnen Gewissenskonflikte."
„Über dem Würfel bricht jetzt gerade die Nacht herein", fuhr der Arkonide fort. „Nicht, daß das auf Noman einen großen Unterschied machen würde, aber vielleicht hilft es uns. Start in einer Stunde?"
Die Blicke der Anwesenden richteten sich auf Perry Rhodan; er hatte die Entscheidung zu treffen. Rhodan ließ sich mit Voltago und den Zwillingen verbinden. Er wußte, daß er ein weiteres Stück harter Arbeit vor sich hatte.
Nicht nur das Weltbild der Theans war ins Wanken geraten. Auch die Welt der Zwillinge war längst nicht mehr in Ordnung.
Daß man die Spiegelgeborenen nicht weiter als einen Kilometer auseinanderbringen durfte, war schon vor dem Abflug der BASIS bekannt gewesen. Geschah dies trotzdem, so bekam Mila schreckliche Anfälle, die epilepsieähnlichen Charakter hatten und sowohl ihr als auch ihrer Schwester Nadja sehr zusetzten. Die beiden Frauen hatten daher eine Form des Zusammenlebens entwickelt, das fast einer Symbiose gleichkam; es war in jedem Fall eine starke und unauflösliche Abhängigkeit.
Kein Mensch war imstande, eine solche Abhängigkeit einfach so hinzunehmen und zu akzeptieren; er brauchte eine psychologische Verkleidung. In der Regel hieß diese Verkleidung „Zuneigung" oder „Liebe", der naturgegebene Zwang wurde als etwas sehr Positives umgedeutet.
Psychologen wußten seit Jahrtausenden, daß solche Verbindungen seelisch außerordentlich gefährlich waren.
Beispielsweise bei der Partnerwahl.
Wer hatte schon Lust, eine Beziehung mit einem Menschen einzugehen, der unfreiwillig in diese Bindung einen Zwilling mitschleppte, von dem er sich nie weiter als auf Sichtweite trennen durfte? Mila und Nadja hatten das frühzeitig erkannt - wer von den beiden als erste einen Partner fand, stempelte die andere damit zum lästigen Anhängsel und bereitete ihr große seelische Qualen.
Mila und Nadja hatten fast dreißig Jahre lang üben können, sich in ihrer Zwangspartnerschaft häuslich einzurichten und ihr seelisches Zweiergefängnis mit Selbsttäuschungen, Illusionen und plüschigen Ausreden halbwegs wohnlich einzurichten.
Aber damit war es nun vorbei.
Zum einen hatte sich in Jagomir „Jagg" Fremon ein Mann gefunden, der sich für eine der Schwestern stark interessierte. Zum anderen hatte Mila gerade begonnen, ein ganz besonderes Vertrauensverhältnis zu Voltago aufzubauen. Dank der Hilfe des Kyberklons hatte Mila zum erstenmal in ihrem Leben die sicherheitsrelevante Grenze von einem Kilometer überschreiten können, ohne dabei sofort psychisch zusammenzubrechen.
Mehr noch: Es begann sich sehr behutsam anzudeuten, daß Milas „Krankheit", ihre Para-Fähigkeit, sich möglicherweise als eine positiv nutzbare Eigenschaft erweisen konnte. Wie diese Para-Fähigkeit genau aussah, was man damit machen konnte, stand noch nicht fest - aber Mila hatte erste, sehr kleine Schritte in eine neue Freiheit unternommen, weg von ihrer Zwillingsschwester Nadja.
Sollte es Mila mit Hilfe Voltagos gelingen, ihre Besonderheit nicht mehr als Fluch zu erleiden, sondern sich dienstbar zu machen und gleichsam in Besitz zu nehmen, blieben für Nadja ungeahnte Probleme. Sie könnte sich als nutzlos empfinden.
Perry Rhodan hatte vor, Voltago und die beiden Zwillinge nach Noman zu schicken, um den Kubus auszukundschaften. Aber er wußte sehr gut, was er den beiden Frauen damit zumutete. „Nadja, Mila, Voltago..." Perry Rhodan wählte diese Reihenfolge der Namen ganz bewußt. „Ich will, daß ihr nach Noman geht, um den Gravo-Kubus zu erkunden. Nach dem, was wir auf Shaft erlebt haben, scheint mir das der einzige gangbare Weg zu sein, zu einem Erfolg zu kommen."
Er bekam zunächst keine Antwort. Voltagos Gesicht blieb eine ausdruckslose Maske aus schwarzem, poliertem Marmor. Milas Lippen preßten sich fest aufeinander, die Mundwinkel von Nadja sanken ein wenig herab. „Wir brauchen eure Hilfe", bat Perry Rhodan leise.
Voltago reagierte immer noch nicht. Mit dem Kyberklon war in letzter Zeit eine Veränderung vorgegangen, das war Perry Rhodan nicht entgangen. Er hatte den eigentümlichen Verdacht, als gehe der Kyberklon bei diesem Unternehmen seine sehr eigenen, ganz besonderen
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