1684 - So grausam ist die Angst
nicht davor zurück, anderen Menschen seinen Willen aufzuzwingen.
Die Leute betrachteten uns scheu. Eine grauhaarige Frau mit verweinten Augen stellte sich als seine Mutter vor und nahm mich plötzlich in den Arm.
»Danke, dass Sie Sascha von dem Bösen befreit haben. Ich habe das alles nicht begriffen. Wir haben doch nur das Beste gewollt, nachdem Tamara starb. Wir wollten, dass ihr Geist Ruhe hatte. Das hat uns der Schamane versprochen.«
»Manchmal geht eben etwas schief. Glauben Sie mir, Mrs Chakow, dieser Darco Uvalde ist kein guter Mensch. Er ist jemand, der sich den bösen Kräften verschrieben hat, um auch die Menschen auf diesen Weg zu führen.«
»Das weiß ich jetzt wohl. Und ich hoffe, dass es alle begriffen haben.«
»Bestimmt.«
Sie hielt meine Hände fest und fragte mit leiser Stimme: »Werden Sie etwas unternehmen?«
»Ja, Mrs Chakow. Wir werden uns auf Darco Uvaldes Spur setzen und dafür sorgen, dass er niemals mehr jemanden angreift. Darauf können Sie sich verlassen.«
Sie schaute mir in die Augen und sagte mit einer jetzt festeren Stimme: »Ich glaube Ihnen. Und geben Sie unserer Tochter die Totenruhe zurück, darum möchte ich Sie bitten.«
»Ich verspreche es …«
***
Rosy Mason hatte das Gefühl für die Zeit verloren. Sie wusste nicht, wie lange sie unbeweglich auf dem Bett gesessen und ins Leere gestarrt hatte. Irgendwann fühlte sie sich zu steif, hinzu kam, dass sie anfing zu frösteln, und das trotz der Schwüle, die in der Wohnung herrschte.
Mühsam stand sie auf und streckte ihre steifen Glieder. Sie reckte sich und versuchte dabei, ihren Denkapparat wieder in Schwung zu bringen. Es war alles anders geworden. Ihr Leben hatte einen regelrechten Knick bekommen. Rosy wusste nicht, wie es weitergehen sollte.
Diese Begegnung auf dem Friedhof hatte sie geschockt. Den Begriff Schamane hatte sie zwar schon gehört, weil es modern war, Schamanenkurse anzubieten, aber das war auch alles gewesen. Sie hatte sich ja nie wirklich dafür interessiert.
Nun hatte es sie voll getroffen, und es hatte ausgerechnet noch mit ihrer besten Freundin zu tun. Das fasste sie noch immer nicht.
Erzählt hatte ihr Tamara nie davon, dass sie in Verbindung mit dem Kult stand. Möglicherweise hatte sie auch nichts damit zu tun, sondern nur die Eltern oder Verwandten. Einen Bruder hatte sie, und so nahm Rosy sich vor, ihn zu fragen, wenn alles vorbei war.
Wobei sie nicht wusste, was alles vorbei sein könnte. Es hatte bei ihr erst angefangen. Da hatte eine andere Seite Kontakt mit ihr aufgenommen, und sie glaubte nicht daran, dass es bei diesem einen Versuch bleiben würde. Es würde weitergehen, das stand fest, und darauf musste sie sich einstellen.
Welche Macht besaß ein derartiger Schamane? Was konnte er? War er in der Lage, über ihr Leben zu bestimmen? Sicherlich. Er war auch fähig, sie in den Tod zu schicken, und dazu brauchte er nur seine Zaubersprüche einzusetzen.
Sie fragte sich, ob man dem Ganzen entkommen konnte. Wahrscheinlich nicht. Da war die andere Seite zu mächtig. Sie hatte ihre Augen und Ohren überall. Sie war eine Gefahr für die normalen Menschen. Die Geisterwelt des Jenseits war stets präsent. Auch davor fürchtete sie sich. Bisher war der Tod für sie etwas Endgültiges gewesen. Sie hatte sich auch keine Gedanken darüber gemacht, was danach passieren würde. Wahrscheinlich würde das später mal eintreten, wann sie ein gewisses Alter erreicht hatte. Jetzt war sie zu jung, um sich große Gedanken zu machen.
Rosy Mason fühlte sich allein. Verlassen. Bedrückt. Die Furcht saß ihr wie ein dicker Kloß im Hals. Ihre Augen brannten, der Mund war trocken, sie fühlte sich schlapp, und die beiden Scotland-Yard-Leute, die ihr auf dem Friedhof begegnet waren, hatten auch nichts von sich hören lassen. Sie hatte in sie so etwas wie eine Hoffnung gesetzt, aber das war jetzt vorbei.
Und die Chakows anrufen? Der Gedanke war ihr schon gekommen, aber sie traute sich nicht, ihn in die Tat umzusetzen. Sie wollte nicht stören, und zum anderen hatten die Chakows diesen Schamanen ja geholt. So musste sie damit rechnen, dass die Familie auf dessen Seite stand.
Rosy Mason dachte alles nur an. Zu einem Ergebnis kam sie nicht. Und so blieb ihr nichts anderes übrig, als zu warten und hin und wieder mal aus dem Fenster zu schauen und zum Himmel zu blicken, an dem sich ein lautloses Drama abspielte.
Dort trieben Wolken von verschiedenen Seiten aufeinander zu. Sie berührten sich, sie drangen
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