1689 - Engel der Ruinen
locker. Das war auch hier der Fall, und ich wollte ihm einen Happen hinwerfen.
»Okay, dann sage ich dir jetzt, was ich weiß. Das ist aber nur für den Hausgebrauch bestimmt.«
»Wie lange kennst du mich jetzt?«
»Schon gut, Bill. Diese Person, die Milic befreit hat, kann man nicht als einen Menschen bezeichnen. Er ist etwas völlig anderes, auch wenn er menschlich aussieht.«
»Und was ist er?«
»Ich tippe auf einen Engel.«
»He.« Bill pfiff durch die Zähne. »Das ist neu, ehrlich. Aber er scheint nicht auf deiner Seite zu stehen, sage ich mal.«
»Richtig. Ich weiß auch nicht, ob er auf der anderen Seite steht. Er scheint mir ein Zwitterwesen zu sein. Das nimm nicht für bare Münze. Es ist nur ein Verdacht.«
»Super, John. Brauchst du von meiner Seite Hilfe?«
»Nein, das müssen wir jetzt allein durchziehen. Ich melde mich später noch mal.«
»Will ich auch hoffen.«
Purdy hatte ihren Weg schon fortgesetzt. Ich sah sie vor einem Haus stehen und an der Fassade hoch schauen. Um uns herum bewegten sich Menschen, und auch der Verkehr auf der nahen Straße war nicht eben dünn. Die Staatsanwältin hatte noch mitbekommen, wer angerufen hatte, und fragte jetzt: »Was wollte Bill?«
»Aufklärung. Er hat bestimmte Gerüchte gehört. Du kannst dir ja vorstellen, um was es ging.«
»Und ob ich das kann. Was hast du ihm gesagt?«
»Dass wir praktisch selbst noch auf dem Schlauch stehen. Was hätte ich ihm sonst sagen sollen?«
»Stimmt.«
Ich wies auf das Haus. »Sind wir am Ziel?«
»Ja, hier residiert der Herr. Nicht schlecht, wenn ich an die Lage und an die Mieten denke.«
Das Haus war ein wuchtiger Bau, der schon mehr als ein Jahrhundert hier stand. Große Fenster lockerten die Fassade auf. Zur modernen Eingangstür aus Glas führte eine breite Treppe aus hellbraunen Stufen hoch, und als wir dicht vor der Glastür standen, teilte sie sich in der Mitte.
Wir betraten eine kühle Halle, in der es auch ein besetztes Desk gab. Der Mann, der dort saß, trug einen dunklen Anzug und schaute uns prüfend an. Zudem überwachten Kameras den Eingangsbereich. Das war oft in Häusern so, in denen Firmen ihren Sitz hatten.
»Sie wünschen?«, fragte er. Purdy wollte etwas sagen, hielt aber den Mund, weil ihr Blick auf die Lifttür gefallen war. Sie schob sich auseinander und ein kleiner Mann mit dünnen Haaren verließ die Kabine. Er hatte es eilig, schaute weder nach rechts und links, sondern sah zu, die Tür zu erreichen, um ins Freie zu gelangen.
Das schaffte er nicht mehr. Purdy war schneller und vertrat ihm den Weg.
»Zu Ihnen wollten wir gerade«, sagte sie und lächelte …
***
Der Anwalt blieb stehen, als hätte ihn der berühmte Schlag getroffen. Er öffnete den Mund, wollte etwas sagen, brachte aber keinen Laut hervor.
Der Mann am Desk sah sich genötigt, einzugreifen. Er hatte vor, seinen Platz zu verlassen. Dazu ließ ich ihn nicht kommen. Meine Worte »Scotland Yard« und ein Blick auf meinen Ausweis hielten ihn von seinem Tun ab.
»Schon gut, Sir«, sagte er.
Ich ging zu Purdy Prentiss und dem Anwalt. Purdy hatte dafür gesorgt, dass wir bei unserer Unterhaltung nicht gestört wurden, denn beide waren in den Hintergrund getreten, wo sich eine Sitzgruppe aus schwarzen Ledersesseln befand, die um einen viereckigen Glastisch herum standen.
»Setzen Sie sich doch, Kollege.«
»Nein, danke. Ich habe keine Zeit. Es tut mir leid, aber ich habe einen Termin.«
»Etwa mit Josip Milic?«
Er zuckte zwar zusammen, schüttelte allerdings den Kopf und sagte kein Wort mehr.
Mir kam er vor wie das schlechte Gewissen persönlich. Auch sein Blick irrlichterte hin und her, wie bei einem Menschen, der nach einem Ausweg sucht.
Dann sah er mich an und fragte: »Kann es sein, dass ich Sie im Gerichtssaal gesehen habe?«
»Stimmt, Mr Miller. Mein Name ist John Sinclair, und mein Arbeitgeber hört auf den Namen Scotland Yard.«
Der Anwalt schluckte und ließ sich doch in einen der Sessel fallen. Was ihn so geschockt hatte, war mir unklar, als Anwalt hätte er eigentlich souveräner reagieren müssen. Dass dies nicht der Fall war, wunderte mich schon ein wenig.
Auch Purdy und ich nahmen Platz. Wir setzten uns so hin, dass wir ihn praktisch in der Zange hatten, und die Staatsanwältin stellte die erste Frage.
»Sie ahnen bereits, weshalb wir hier sind?«
»Nein!«
Ich musste mir ein Grinsen verkneifen, als ich die schnelle Antwort hörte. Dann sagte ich: »Es geht um denjenigen, der aus dem
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