169 - Die Drachenmenschen
getrennt." Feodora wandte sich um und hastete den Hang hinauf. Sie hörte nicht, daß die Gefährten sie riefen, wollte es in dem Moment nicht hören.
Lucio … schrien ihre Gedanken. Lucio, wo bist du?
Da waren die Kopfschmerzen wieder, die sie in letzter Zeit häufig quälten. Verbissen taumelte sie weiter, das Medaillon fest umklammert. Die Schmerzen wurden stärker, als sie die Hügelkuppe erreichte. Das Feuer war hier an dem üppigen, saftigen Grün der Pflanzen erstickt. Vor der Mulattin breitete sich ein schier undurchdringliches Dickicht aus.
Schwer atmend hielt sie inne. Nur ihr Blick huschte unstet weiter, suchte nach irgendeinem Zeichen, einer Spur vielleicht, die, von Macheten gehauen, in das Unterholz hineinführte.
Ein verhaltenes Zischen hinter ihr ließ sie herumfahren. Sie erstarrte. Zum Greifen nahe pendelte der Kopf einer Buschmeister hin und her. Das Tier ließ sich langsam vom nächsten Ast herab. Feodora wußte, daß sie einen Biß der Giftschlange nicht überleben würde. Wie hatte sie nur so unvorsichtig sein können, blindlings draufloszulaufen? Sie hörte Dorian und Coco rufen, aber sie wagte kaum noch zu atmen, geschweige denn den Gefährten zu antworten. Der Buschmeister schob sich auf sie zu, war nicht einmal mehr zwei Handbreit von ihrem Gesicht entfernt.
Die Furcht und die bohrenden Kopfschmerzen beeinträchtigten Feodoras parapsychische Fähigkeiten. Flüchtig dachte sie daran, telekinetisch zuzupacken. Doch was geschah, wenn es ihr nicht auf Anhieb gelang, den Buschmeister etliche Meter weit zu schleudern, oder wenn die Schlange ganz einfach schneller reagierte?
Da waren Schritte. Sie kamen näher.
Beeilt euch! dachte Feodora. Lange halte ich das nicht mehr aus.
Dorian - oder war es Coco? - stand nun dicht hinter ihr. Sie spürte den heißen Atem in ihrem Nacken.
Eine Hand griff zu, packte den Buschmeister unmittelbar hinter dem Kopf, und zerrte ihn gänzlich von seinem Halt herunter. Feodora schluckte krampfhaft. Diese Hand besaß lange, schwarze Nägel, war runzelig und von lederner Haut überzogen.
„Schrei!" befahl eine rauhe Stimme in gebrochenem Portugiesisch. „Schrei, wenn du nicht sofort sterben willst." Die Hand drückte das Schlangenmaul auf, daß die Giftzähne sichtbar wurden - nur ein flüchtiger Ruck, und sie würden Feodoras Haut ritzen.
Aber nicht deswegen schrie sie, sondern weil sie endlich den Mann sah, der die Schlange hielt. Er war nicht viel mehr als Haut und Knochen, sein Gesicht besaß die ausdruckslose Mimik eines Totenschädels, und wenn wirklich Leben in ihm steckte, dann am ehesten in seinen Augen, vor denen die Mulattin unwillkürlich zurückwich. Es waren grausame, unbarmherzige Augen.
Der fast schon unmenschliche Schrei drückte größte Not aus. Dorian und Coco zögerten nicht einen Augenblick, der Mulattin zu Hilfe zu eilen. Die war jenseits der Hügelkuppe verschwunden, doch ihre Spuren ließen sich in der Asche einigermaßen gut verfolgen.
Dann endete das verbrannte Gebiet. Zu sehen war nichts. Feodora Munoz konnte überall und nirgends sein.
„Verdammt!" entfuhr es dem Dämonenkiller. „Weißt du, wo sie stecken kann?"
Coco machte noch einige Schritte vorwärts, drehte sich halb um sich selbst.
„Frage lieber, was geschehen sein könnte…"
„Feeeoo…!" rief Dorian laut. Zunehmend deutlicher glaubte er die Gefahr zu spüren, die ganz in der Nähe lauerte.
Auch Coco begann unruhig zu werden. Sie hob den Kopf, schien in sich hinein zu lauschen. „Dämonen?" wollte Dorian wissen.
Er erhielt keine Antwort. Coco schlug sich mit der Hand in den Nacken, wie man einen lästigen Blutsauger verscheucht. Sie blickte ihn erstaunt an, versuchte noch, etwas zu sagen, aber nur ein heiseres Ächzen drang über ihre Lippen. Nach Halt suchend, sackte sie in sich zusammen.
Dorian sprang vor, fing den schlaff werdenden Körper auf und ließ ihn vorsichtig zu Boden gleiten. Im selben Moment, in dem er den münzgroßen geröteten Fleck an Cocos Hals entdeckte, wurde ihm sein Fehler bewußt. Der lautlose, winzige Pfeil aus dem Blasrohr eines Indianers mußte die Hexe getroffen und sofort außer Gefecht gesetzt haben.
Dorian riß das Gewehr hoch.
Aber er schoß nicht. Zu viele Gegner traten plötzlich aus dem Busch hervor. Drei, vielleicht sogar vier von ihnen hätte er töten können, doch dann wären die anderen über ihm gewesen … In dieser Situation den Helden zu spielen, brachte herzlich wenig ein. Dorian ließ die Waffe wieder
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