17 - Das Konzil der Verdammten
Valretrade dazu veranlasst haben könnte, das domus feminarum zu verlassen?«, fragte Fidelma unbeeindruckt. »Wenn es an dem jungen Mann gelegen hat, der sie, wie du es nanntest, so ›abgelenkt‹ hat, würde sie ihm doch mitgeteilt haben, dass sie von hier fortzugehen gedachte.«
»Es ist nicht meine Aufgabe, mir darüber Gedanken zu machen, mit welchen Hirngespinsten sich ein junges Mädchen abgibt. Vielleicht ist sie bei dem jungen Mann, von dem du redest. Mach ihn ausfindig, dann hast du auch sie.«
»Wenn die beiden zusammen wären, würde er wohl kaum hierher gekommen sein, um nach ihr zu fragen.«
»Kann ja sein, sie ist zur Vernunft gekommen und hat ihn verlassen«, gab die Äbtissin scharf zurück.
»Du siehst also keinen Grund, weshalb sie gegangen ist?«
»Was heißt hier ›Grund‹? Ich fürchte, du verstehst nicht die Regeln, nach denen ich unsere Gemeinschaft leite. Sie ist gegangen, weil sie sich den Regeln nicht unterwerfen konnte.«
»Sie hat das Kloster verlassen, ohne dem Menschen, der ihr über alles ging, eine Nachricht zukommen zu lassen, dass sie diesen Schritt tun würde«, stellte Eadulf nachdenklich fest.
»Der Mensch, der ihr über alles ging?« Das bleiche Gesicht der Äbtissin war voller Verachtung. »Der Mensch, der ihr in diesem Haus über alles zu gehen hat, bin ich.«
Fidelma wies auf das Kruzifix, das hinter Audofleda an der Wand hing. »Ich dachte, in einem frommen Haus wie diesem gäbe es jemanden, der über allem und jedem steht und vor dem alle gleich sind«, sagte sie.
Ein weiteres Mal stieg der Äbtissin die Röte ins Gesicht, doch geschah es jetzt aus Zorn.
»Das Mädchen hat sich nicht den bei uns geltenden Regeln gebeugt. Wäre sie hier geblieben, hätte man sie für ihr Zuwiderhandeln bestraft. Purer Eigennutz hat sie die Flucht ergreifen lassen!«
»Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan«, murmelte Eadulf für alle hörbar.
»Ich habe genug Zeit verschwendet.« Äbtissin Audofleda stand auf und wies Schwester Radegund an: »Bring die … die Besucher zum Portal. Unsere Unterredung ist beendet.«
Eadulf folgte Fidelma, die sich, ohne ein Wort zu sagen, zum Gehen gewandt hatte. Er war noch nicht an der Tür, da rief ihnen die Äbtissin, die nicht an sich halten konnte, hinterher: »Ich werde dafür Sorge tragen, dass Bischof Leodegar von deinen Beleidigungen erfährt. Er hat Männer schon für geringfügigere Vergehen auspeitschen lassen.«
Fidelma zögerte einen Moment, bedeutete dann aber Eadulf mit einer raschen Kopfbewegung, lieber zu schweigen. Erst draußen, als sich das Eichentor hinter ihnen geschlossen hatte, machten sie ihrem Ärger mit lautem Stöhnen Luft. Dann nahmen sie den Weg zurück über den Hof zur Auffahrt.
»Und so eine Frau ist die abbatissa der Gemeinde?«, stellte Eadulf verwundert fest. »Mir tun die Mädchen leid, denen sie vorsteht.«
»Mir tut vor allem Schwester Valretrade leid. Bei solch einer Vorgesetzten würde ich auch das Weite suchen«, ergänzte Fidelma. »Übrigens sollten wir auf der Hut sein und ihre Drohungen nicht auf die leichte Schulter nehmen.«
»Drohungen? Wegen des Auspeitschens?« So ernst sah Eadulf die Sache nicht.
»Vergiss nicht, wir sind in einem anderen Land mit anderen Sitten und Gebräuchen. Wir haben zwar die Erlaubnis, dem Fall nachzugehen und unsere Nachforschungen anzustellen, aber doch nur, weil Bischof Leodegar daraus politischen Nutzen zu ziehen glaubt. Wirkliche Machtbefugnis haben wir nicht und sind folglich angreifbar.«
»Nie würde Leodegar so etwas wagen«, behauptete Eadulf.
»Da wäre ich nicht so sicher. Ganz grundlos hat Audofleda nicht damit gedroht. Sie hat auf diese Weise erkennen lassen, dass sich Bischof Leodegar dieses Machtmittels auch schon früher bedient hat.«
»Aber sich einen Klosterbruder vorzunehmen und ihn ohne jeden Grund auspeitschen zu lassen …«
»Ein Grund findet sich immer. Auf jeden Fall müssen wir Bruder Sigeric warnen, und das, noch ehe Audofleda mit Leodegar über ihn spricht.«
Weiter unten an der Auffahrt blieben sie an dem verriegelten Tor stehen, und Eadulf warf noch einmal einen Blick zurück auf die grauen Mauern.
»Noch nie in meinem Leben war ich an einem Ort, der eine derartige Traurigkeit ausströmt. Mir will einfach nicht aus dem Kopf, was Bruder Gillucán dir erzählt hat, ich meine das, was er gehört haben will.«
»Was bringt dich gerade jetzt darauf?«
»Er war doch im necessarium , dessen eine Mauer an
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