17 - Geheimagent Lennet wittert Verrat
hübsche Nachbarin das letztemal gesehen hatte.
»Sie wohnen eine Etage über mir, stimmt's?« fragte er sie.
»Ja, im Apartment 804.«
»Und wer wohnt da noch?«
»Frau Falsope und ihre beiden Söhne. Sie heißen Robert und Albert. Frau Falsope ist der Boß der Bande.«
»Eine Frau?«
»Nein, ein Raubtier! Man merkt, daß Sie sie nicht kennen. Sie ist schlimmer als ihre beiden Söhne zusammen, und das will schon was heißen.«
»Wohnen Sie schon lange hier?«
»Einen knappen Monat. Wir sind aus Marseille gekommen.«
»Und davor?«
»Vorher habe ich in Nordafrika gewohnt. Ich stamme aus Algerien. Vielleicht haben Sie das schon an meinem Namen gemerkt. Meine Eltern sind tot. Sie waren im Algerienkrieg auf seiten der Franzosen. Nach dem Krieg war ich allein...
Vollwaise. Ich habe versucht, Arbeit zu finden, aber ich war noch zu jung. Da nahmen die Falsopes mich auf. Ich habe gedacht, daß ich eine neue Familie bekomme. Aber sie haben mich nur ausgenutzt.
Ich hatte ja niemanden, der mich da rausholen konnte!«
»Warten Sie mal«, sagte Lennet, »niemand kann Sie zwingen, bei diesen Leuten zu wohnen, und erst recht nicht, strafbare Handlungen auszuführen! Sind Sie volljährig?«
»Ich bin zwar schon achtzehn, aber als algerische Staatsbürgerin nicht volljährig.«
»Ich bin kein Jurist, aber ich könnte mir vorstellen, daß es ziemlich einfach ist, eine Waise in Ihrem Alter für volljährig erklären zu lassen. Haben Sie eine Aufenthaltsgenehmigung?«
»Nein. Die Falsopes haben mich schwarz über die Grenze gebracht. Ich bin völlig in ihrer Hand - Sie sehen ja selbst!«
»Auch das ist nicht so schlimm, wie Sie sich das vorstellen.
Eine Aufenthaltsgenehmigung kann man beantragen. Sie haben mir doch eben erzählt, daß Ihre Eltern im Krieg auf seiten der Franzosen waren.«
»Ja, mein Vater war Stabsunteroffizier der französischen Armee. Er ist gefallen.«
»Sehen Sie! Er hat also dem Staat große Dienste erwiesen.
Damit wird für Sie alles viel einfacher!« Lennet fühlte sich richtig väterlich gegenüber diesem verängstigten jungen Mädchen. »Wissen Sie, was wir jetzt machen? Wir gehen zur Polizei und klären alles auf.
Sie werden schon sehen, Ihre Lage ist gar nicht so schlimm!«
»Nein!« schrie Selima auf. »Nein! Nicht zur Polizei! Bitte nicht! Alles andere, aber nicht zur Polizei!« Lennet war verblüfft. »Warum denn nicht?« Gerade wollte das junge Mädchen ihm antworten, als es zum zweiten Mal an diesem Abend an Lennets Tür klopfte. Jemand hämmerte langsam und bedächtig, aber mit schweren Schlägen gegen das Holz: Bumm... bumm... bumm...
Selima preßte die Hand auf den Mund, um nicht zu schreien.
Ihre Augen weiteten sich vor Angst.
Der Fuß in der Tür
Lennet achtete gar nicht auf die Tür. Er wußte, daß sie stabil war.
»Wie sind Sie rausgekommen?« fragte er seine Besucherin leise.
»Frau Falsope war eingeschlafen«, antwortete Selima im Flüsterton. »Albert war nicht da, und Robert saß vor dem Fernseher. Aber ich habe beim Hinausgehen mit der Tür geklappert. Ich konnte das Geräusch nicht verhindern. Jetzt suchen sie mich bestimmt überall.« Wieder krachten die Schläge gegen die Tür: Bumm... bumm... bumm...
Lennet stand auf.
»Nicht zur Tür gehen«, flehte Selima ihn an, » sie sind zu allem fähig!« Lennet ließ sich nicht abhalten. Er ging zur Tür und schaute durch den Spion. Im Flur stand ein etwa dreißigjähriger Mann in einem piekfeinen dunkelbraunen Anzug. Er trug eine rote Krawatte zum schmalgestreiften Hemd. Durch den Spion sah sein Kopf riesig aus und seine Schultern wirkten noch breiter, als sie wahrscheinlich sowieso schon waren. Sein Gesicht war sehr rot. Er hatte gewelltes, kastanienbraunes Haar und einen Stiernacken.
Lennet ging zu Selima zurück und faßte sie bei der Hand.
»Kommen Sie mal! Können Sie mir sagen, ob das einer von Ihren Falsopes ist? Sie brauchen wirklich keine Angst zu haben, ich bin doch bei Ihnen!« Selima folgte ihm. Sie legte ein Auge auf das kleine Loch in der Tür und prallte zurück. »Das ist Robert«, flüsterte sie Lennet ins Ohr. »Albert ist anscheinend noch nicht zu Hause. Kommen Sie von der Tür weg!« In diesem Augenblick begann der Mann wieder zu klopfen.
Lennet schaute durch den Spion und sah, daß Robert langsam und methodisch mit seiner Faust das Holz bearbeitete, ohne eine Miene zu verziehen.
Der Geheimagent entschloß sich zu handeln. Er führte Selima ins Bad, wo sie nicht
Weitere Kostenlose Bücher