17 - Geheimagent Lennet wittert Verrat
Luft geschnuppert hatte, fiel es Lennet schwer, wieder unter die Erde zu gehen, wo Bormarsund und Chibani auf ihn warteten.
Außerdem war er müde, und der Mut sank ihm mit jedem Schritt, den er nach unten tat.
Als er endlich am Fuß des Schachts angekommen war, mußte er den Weg wiederfinden, den er mit Selima gekommen war.
Doch er hatte sich die Einzelheiten der Gänge gut eingeprägt und kam ohne zu zögern vorwärts.
Was ihn am meisten beunruhigte, war die Zeit. Nach Selimas Uhr war es gerade zehn gewesen, als sie das Häuschen über dem Luftschacht erreicht hatten. Daher mußte es jetzt mindestens elf Uhr sein, und der Feind konnte seine Abwesenheit schon längst bemerkt haben.
Außerdem hatte er Angst vor Bomarsunds Fragen. Er durfte zwar jetzt alles sagen, was den FND anging, aber gesetzt den Fall, der General und Chibani hatten es sich partout in den Kopf gesetzt, den Namen seines obersten Chefs zu erfahren, dann konnte Lennet trotz allem dem elektrischen Stuhl kaum noch entkommen.
Der Förderkorb wartete in seinem Blindschacht.
Lennet stieg ein und drückte auf den obersten Knopf.
Bald war er wieder in seinem Gefängnis. Er versteckte sein Werkzeug hinter einem der Balken, behielt aber die Pistole im Gürtel. Dann setzte er sich und wartete.
Es ging auf Mittag zu, als der Förderkorb, den Lennet nicht wieder hatte hinunterschicken können, sich bewegte. Er verschwand im Schacht und kam wenige Minuten später wieder nach oben. An Bord war Oberst Chibani.
Der wunderschöne, graue Maßanzug des Obersten, seine gestärkten Manschetten, seine sorgfältig blankgeputzten Schuhe und sein mit viel Mühe gestutzter Schnurrbart standen in seltsamem Kontrast zu dem Werkzeug, das er in der Hand hatte.
Er trug einen Preßlufthammer.
Lennet stand bei seinem Eintreten auf. Der Oberst musterte ihn spöttisch.
»Nun, Lennet, gefällt Ihnen die Gastfreundschaft des Generals Bomarsund nicht? Haben Sie einen Spaziergang gemacht? Oder wollten Sie fliehen?« Lennet setzte eine enttäuschte Miene auf.
»Wie soll man denn aus einem solchen Labyrinth fliehen können, Herr Oberst?«
»Sie hätten es gekonnt, wenn Sie Fräulein Kebir richtig angefaßt hätten. Offenbar haben Sie versäumt, das zu tun.«
»Ich verstehe Sie leider nicht, Herr Oberst.«
»Nun, Sie müssen wissen, daß der General Fräulein Kebir schon seit dem Vorfall in Houlgate nicht mehr recht vertraute.
Er hat also ganz bewußt darauf verzichtet, das Werkzeug, das sie in Ihren Taschen gefunden hatte, von ihr zurückzuverlangen.
Er vermutete, daß sie Ihnen vielleicht zur Flucht verhelfen wollte. Er hat ihr diese Absicht sogar insofern erleichtert, als er sie mit der Mahlzeit zu Ihnen geschickt hat. Wir haben in ihrer Anwesenheit von einem Lüftungsschacht gesprochen, durch den ein gut ausgerüsteter Mann durchaus fliehen könnte.
Selbstverständlich war am Ausgang des Schachts eine Wache postiert, auf dem Dach des Häuschens, in dem der Motor des Ventilators untergebracht ist, um genau zu sein. Aber ich sehe, daß wir uns in der Dame getäuscht haben, oder irre ich mich? Wo ist sie überhaupt?«
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Lennet, »sie ist bestimmt in den großen Saal zurückgegangen. Ich glaube wirklich, Herr Oberst, daß Sie dieses Fräulein überschätzt haben. Sie war schrecklich! Sie hat sich die ganze Zeit über mich lustig gemacht und mir erklärt, das sei bestimmt meine letzte Mahlzeit. `Guten Appetit`, hat sie immer gesagt, `vergessen Sie nicht, daß Sie in einigen Stunden sicher nicht mehr imstande sein werden, noch etwas zu essen.` Mit dem Ergebnis, daß mir Ihre Gänseleberpastete fast im Hals steckengeblieben ist!«
»Aber Sie sind doch mit ihr im Förderkorb nach unten gefahren!«
»Natürlich! Sie hatten mir doch vor allen Anwesenden erlaubt, mein Gefängnis zu verlassen. Sie hat sogar noch über mich gelacht und gesagt, daß es mir ganz recht geschieht, wenn ich mich verirre und irgendwo jämmerlich vor Hunger verrecke. Vielleicht sind ihre Nerven nicht gerade die allerstärksten. Nur so ist jedenfalls für mich zu erklären, daß Sie den Eindruck hatten, sie leide unter dem, was mir angetan wurde. Im Grunde kann sie mich nicht leiden. Ansonsten haben Sie recht: Ich bin ein bißchen herumgewandert, aber dann bin ich doch lieber wieder zurückgekommen. Wenigstens weiß ich hier, wo ich bin.«
»Sie haben gut daran getan«, sagte der Oberst und wiederholte den Satz noch einmal, sehr ernst. »Sie
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