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170 - Die Scharen der Nacht

170 - Die Scharen der Nacht

Titel: 170 - Die Scharen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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anders: Respekt verdiente nur der, der sich zuvor als Mensch bewies.
    Großmäulern gebührten seiner Meinung nach zehn Tritte in den Hintern. Aber einem Muskelmann wie Ofrem konnte man so was natürlich nicht auf die Nase binden…
    Tsani, der dritte im Bunde, lag auf dem Bauch. Shaggais Angst und Ofrems Maulheldentum erheiterten ihn so sehr, dass er fast seine ganze Hand in den Mund schob, um sein Lachen zu ersticken. Shaggai sah das Weiße in seinen schwarzen Augen blitzen. In der Regel war Tsani der beste Freund, den man sich nur wünschen konnte, aber er fand Menschen komisch, die im Dschungel lebten und sich vor Schlangen fürchteten.
    »Vorsicht, Patrouille…«
    Shaggai und Ofrem gingen neben Tsani in die Hocke. Erst das Kichern des Jungen sagte ihnen, dass er sie gefoppt hatte.
    Ofrem gab ihm eine Kopfnuss. Dann pirschten sie die letzten Meter den Hang hinauf, bis sie die Hügelkuppe erreichten.
    Da… Vor ihnen, im Mondlicht, stand die alte Klosterfestung.
    Shaggai hielt den Atem an. Sie hatten früher oft in dem verlassenen Gemäuer gespielt. Wenn man den ehrwürdigen Alten glauben durfte, existierte es schon seit Anbeginn der Zeit. Vor der Kalten Epoche sollte ein König einen hundertköpfigen Harem darin untergebracht haben. Nach der Kalten Epoche waren fromme Männer aus dem Westen gekommen, hatten das Gemäuer ausgebaut und zum Zweck der Lobpreisung einer vergessenen Gottheit betrieben. Irgendwann waren sie krank geworden und ausgestorben. Ihr Gott hatte keinen Finger für sie gerührt, also war es gut, dass man ihn vergessen hatte. Bürgermeisterin Quai, die alle Geschichten über das gewaltige Bauwerk kannte, meinte, dass die Gebeine der frommen Männer seit fünf Generationen in der Schlucht hinter dem Ostturm vermoderten. Shaggai schüttelte sich.
    »Runter…«, hauchte Tsani. Diesmal klang seine Stimme so erschreckt, dass die anderen ihm sofort glaubten. Die drei Jungen pressten sich flach an den Boden. Niemand wagte zu atmen.
    Nicht weit entfernt marschierten mehrere schwarz berobte Gestalten an der Klostermauer entlang. Man hörte das Knirschen von Lederstiefeln und das metallische Klirren von Waffen.
    Shaggais Herz pochte wie verrückt. Er kniff die Augen zusammen, um mehr zu sehen. Spitze Kapuzen verhüllten die Gesichter der Fremdlinge.
    Seit sie hier waren, gingen im Dorf spannende Gerüchte herum: Der Jäger Olmar hatte sie am Morgen nach der Ankunft am Niyoka gesehen. Sie hatten nackt im Wasser gestanden und sich gewaschen.
    Das war an sich keine Sensation, denn Nackte sah man am Fluss jeden Tag. Doch laut Olmar waren die Fremdlinge allesamt Frauen und so schwarz wie ihre Gewänder.
    Schwarze Menschen! Shaggai wusste nicht, ob er die haarsträubende Geschichte glauben sollte, aber sie hatte seine Phantasie in Brand gesetzt. Deswegen hatten sie sich heute Nacht aus den Pfahlhäusern ihrer Eltern geschlichen und waren – Skorpocs, Taranteln und Schlangen zum Trotz – durch den Busch zum alten Kloster geschlichen.
    Shaggai schauderte, als er sich fragte, wie er wohl beim Anblick eines schwarzen Menschen reagieren würde.
    Hoffentlich musste er nicht aufschreien wie bei den Schlangen.
    Die Wachpatrouille blieb vor dem Torbogen stehen, der in den Kloster-Innenhof führte. Ihre Gewänder wehten in einer leichten Brise. Die Wolken am Himmel wuchsen wieder zusammen und verdeckten den Mond. Es wurde erneut finster, und so konnte man nicht erkennen, ob sie wirklich schwarz im Gesicht waren.
    »Kamshaa-Dung!«, fluchte Ofrem leise, als die Vermummten auf dem Absatz kehrt machten und durch den Torbogen schritten. Sie verschwanden im Innenhof.
    »Was jetzt?« Ofrem war fünfzehn Sommer alt und der Jüngste des Trios. Er hatte aber das größte Mundwerk und war bei der Vorbereitung ihres Abenteuers die treibende Kraft gewesen. »Wenn wir umkehren, ohne was gesehen zu haben, machen wir uns bei den anderen nur lächerlich.«
    »Wir könnten ihnen doch irgendwas erzählen«, sagte Tsani.
    »Wo Shaggai bei jeder kleinen Lüge so knallrot wird, dass ihn nur Blinde nicht durchschauen?«
    Shaggai errötete schon jetzt.
    Dummerweise hatten sie bei den Jungs im Dorf damit geprahlt, dass sie in das Kloster eindringen wollten, um die Fremden auszuspähen. Alle waren sehr an ihnen interessiert, was nicht verwunderlich war: Sie waren bei Nacht und Nebel mit mehreren Planwagen hier angekommen und verließen das Kloster nur bei Dunkelheit.
    Quai hatte Olmar zum Fürstenhof geschickt. Doch der Hof war weit entfernt.

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