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170 - Die Scharen der Nacht

170 - Die Scharen der Nacht

Titel: 170 - Die Scharen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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unterwegs gewesen. Es war dringend notwendig, dass sie verschnaufte. Seit dem tragischen Verlust ihres Gefährten – obwohl sich alles in Aruula sträubte, seinen Tod anzuerkennen, empfand sie doch beinahe keine Hoffnung mehr – hatte sie zahlreiche und gefährliche Abenteuer erlebt. Sie spürte, dass ihre Reise bald enden würde; dass sie den brennenden Felsen mit eigenen Augen erblicken und sich über den weiteren Verlauf ihrer Existenz klar werden würde. Und wenn Maddrax noch lebte, dann würde sie es dort erfahren.
    Vielleicht war es ganz gut, wenn sie an dem betreffenden Tag nicht müde und zerschlagen war…
    Plötzlich endete der Pfad durch den Dschungel. Vor ihr öffnete sich eine Lichtung im Sonnenschein – und hinter der Lichtung ein tiefer Abgrund. Eine schaukelnde Hängebrücke spannte sich über die Schlucht. Die andere Seite war so dicht bewaldet wie die hiesige, doch drüben stieg das Land an und schraubte sich in ungeahnte Höhen.
    Auf der Lichtung brannte ein Feuer! Über den knisternden gelbroten Flammen drehte sich eine vierbeinige Jagdbeute mit Rüssel. Fett spritzte in die Flammen. Das Feuer zischte. Der Bratenduft zog Aruula in die Nase. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen.
    Um das Lagerfeuer scharten sich sechs Gestalten. Allesamt Männer: jung, muskulös, mit schwarzen Augen und gebräuntem Teint. Ihre hellen Kopfbedeckungen sahen wie zusammen gedrehte Tücher aus. Ihre Kleider waren bunte Fetzen aus Stoff und Leder. An den Ohren trugen sie dicke goldene Ringe. Ihre Blicke waren abschätzend und schmutzig.
    Pass auf. Blicke dieser Art waren Aruula nicht neu. In den meisten Ländern, die sie durchquert hatte, wurde sie wie ein Stück Fleisch taxiert. Ihre Rundungen wirkten auf die Phantasie vieler Männer – und mancher Frauen – ein.
    Trotzdem hatte Aruula keine Lust, deswegen in Sack und Asche zu gehen.
    »Salaam…« Sie drehte sich ein bisschen, damit die Burschen das Schwert in ihrer Rückenkralle sahen.
    Söldnerinnen waren in diesem Kulturkreis nicht selten, deswegen grinsten die Männer verlegen, als Aruula ihnen mit Gesten verdeutlichte, dass sie über die Hängebrücke wollte.
    Ein Bursche, der einen roten Turban trug, redete in mehreren kehligen Sprachen auf sie ein. Nach dem dritten Versuch hörte sie Worte in einer Sprache, die sie dank Maddrax leidlich gut beherrschte. Sie wusste, dass diese Region früher zum Reich der Könige von Landán gehört hatte, dass die herrschende Schicht sich ihrer Kultur angepasst und ihre Zunge als Amtssprache übernommen hatte. Britanisch war fast überall auf diesem Kontinent die Zweitsprache gewesen.
    Sie war nicht in Vergessenheit geraten; man schätzte sie als verbindendes Verständigungsmittel zwischen den Völkern.
    » Wie heißt du und wer ist dein Herr?« , setzte Aruula aus dem schluderigen Kauderwelsch des Mannes mit dem roten Turban zusammen. »In wessen Auftrag bist du unterwegs?«
    Aruula nannte ihren Namen. »Niemand ist mein Herr.« Sie deutete auf die Klinge an ihrem Rücken. »Eine Menge Narren, die sich einbildeten, sie könnten mein Herr werden, suchen ihren Kopf jetzt noch.« Sie lachte roh, denn es war wichtig, aufgeblasenen Knilchen zu verdeutlichen, dass jeder Versuch, ihr auf die Pelle zu rücken, tödlich enden konnte. »Ich bin in niemandes Auftrag unterwegs. Ich bin meine eigene Herrin und denke nicht daran, jemandem zu gehören.«
    Die am Feuer hockenden Männer schauten auf. Sie wirkten irritiert. Einer presste wütend die Lippen aufeinander.
    Der Mann mit dem roten Turban erwiderte mit höhnisch verzogenen Mundwinkeln: »Wir verachten Schwächlinge, die sich nicht trauen, ihren Weibern das zu verbieten, was ihnen nicht zusteht. Kann sein, dass es in deiner Heimat nichts Besonderes ist, wenn Frauen fast hackt herumlaufen. Bei uns herrschen andere Gesetze: Wer so aussieht wie du, ist eine Metze und wird entsprechend behandelt.«
    »Kann sein, dass bei euch der Brauch herrscht, Frauen als Metzen einzustufen, die nicht nach eurer Pfeife tanzen«, erwiderte Aruula. »Wie sagt man doch? Andere Länder, andere Sitten.« Sie schnalzte mit der Zunge. »In meiner Heimat knüpfen wir zum Beispiel jeden auf, der sich einbildet, die Welt müsse seinen dämlichen Aberglauben teilen.«
    Roter Turban stieß einen Fluch aus, griff nach dem Krummsäbel in seinem Gürtel und sprang vor. Aruula zuckte zurück und riss die Klinge aus der Rückenkralle. Der Angriff kam so plötzlich, dass sie beinahe einen tödlichen Schlag geführt

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