172,3 (German Edition)
kopfschüttelnd und Verachtung schwang in seiner Stimme.
Larissa war überrascht. »Ich dachte, du musst hungrig sein, wenn du zurückkommst. Ist auch nach so einem Rezept, was ich im Internet gefunden habe. Mit Hähnchenbrust.«
»Ah, ich bin aber nicht hungrig.«
Er stierte sie an und spürte die Wut in sich anwachsen. Aber ebenso die Frage, weshalb er so wütend wurde. Larissa wartete auf ihn, bereitete etwas zu Essen vor und er suchte den Konflikt mit ihr.
»Schade«, sagte sie und ging enttäuscht in die Küche.
»Warte!«
Er eilte ihr nach, hielt sie an der Armbeuge und drehte sie zu sich. »Verzeihung. Tut mir leid, ich bin irgendwie durch den Wind heute.«
Er sah, dass Tränen in ihren Augen schimmerten und strich ihr durch das Haar.
Sie drückte sich von ihm weg. »Schon gut. Kann ich verstehen. Sie haben es vorhin sogar im Fernsehen im Regionalteil gebracht.«
»Echt?«, fragte er nach und konnte sich nicht an irgendein Fernsehteam erinnern.
»Zwei Kinder hatte er. Oh, Mann, Viktor! Mich nimmt so was immer mit, wenn es so nah passiert, weißt du. Dann sitze ich hier und hoffe, du kommst schnell zurück, Daniela kommt schnell zurück, damit ich euch alle hier habe. Da fährt man Rad und kommt nicht wieder.«
Einzelne Tränen brachen durch und nässten ihr Gesicht. Er zog sie zu sich heran und drückte sie an sich. Sie schmiegte ihren Kopf an seine Brust, und er streichelte sie. Verlogen, dachte er. Das ist verlogen und kommt nicht von Herzen. Es sind ihre Tränen, die mich das tun lassen, ihnen bin ich ausgeliefert. Und was ist mit mir? Habe ich kein Mitgefühl verdient? Immer nur andere? Ihre Patienten, Daniela, der verschissene tote Radfahrer. Seine Wut beschleunigte seinen Herzschlag, er schloss die Augen und streichelte sie weiter zärtlich, während er innerlich schäumte und sich wieder fragte, warum. Seine Wut, die Art seiner Wut, wie eine exotherme Reaktion, wie eine Explosion zu reagieren, war eine neue Eigenschaft an ihm. Seit er abnahm. Und Larissa hatte es ihm attestiert.
»Es geht schon wieder. Danke, Vic.«
Sie löste sich von ihm und sah zu ihm auf.
»Ja?«, fragte er nach und strich ihr die Wangen mit dem Handrücken trocken.
Sie nickte, gab ihm einen Kuss, nahm seine Hand und zog ihn mit ins Wohnzimmer.
»Komm, wir sehen fern«, sagte sie nun wieder fröhlich.
Viktor folgte ihr, innerlich einen Konflikt mit sich austragend, den er nicht vollständig begriff, dessen Ursache er nicht begriff. Er fühlte sich wie fremdgesteuert. Kellermann hatte ihm erzählt, man würde, wenn man mit dem Rauchen aufhörte, in den ersten Tagen aggressiv werden und grundlos seine Nächsten anschimpfen. Kellermann hatte etliche Versuche hinter sich und meinte, seine Familie hätte sich darauf eingestellt. Vielleicht war es bei ihm mit dem Abnehmen ähnlich. Sein Körper oder seine Psyche litt einen Mangel und diesen kanalisierte er durch schlechte Laune und Wutanfälle, die seine Familie zu ertragen hatte. Vielleicht hatte er aber auch Recht und erst jetzt wurde ihm klar, wie falsch sie alle tagtäglich miteinander umgingen. Daniela wurde viel zu lasch erzogen, Larissa gab permanent nach und er war derjenige, der zwar richtig handelte, sich aber immer den Streit einholte, weil er sich und seine Bedürfnisse klein machte.
»Ich will gar nicht fernsehen«, sagte er, blieb vor dem Sofa stehen und löste sich von Larissa.
»Wir können reden oder einfach nur nebeneinander liegen, oder?«
»Phh …«, machte er, überlegte, gab währenddessen nach und folgte ihr auf das Sofa. Nach Reden war ihm überhaupt nicht zumute. Lieber wollte er fernsehen. Alleine. Larissa setzte sich und deckte sich zu. Mit einer Hand bedeutete sie den freien Platz neben sich.
»Komm!«
Er setzte sich zu ihr. Mürrisch.
»Was hast du?«, wollte sie wissen.
Er sah sie an. Ihr Lächeln, ihr offenes Gesicht. Schönheit. Er zuckte mit den Schultern und wandte sich ab.
»Was?«
Er antwortete nicht. Was sollte er auch sagen? Dass er sich für den Tod des Radfahrers verantwortlich fühlte, weil er ihn erst bedrängt und dann den Tod gewünscht hatte? Larissa wusste, wie er sich beim Autofahren aufregen konnte, sie würde kein Verständnis dafür haben. Ihm war bewusst, dass, hätte er sich nicht so aufgeregt, die Situation ganz anders verlaufen wäre und der Radfahrer und Vater zweier Kinder noch leben würde. Und DAS belastete sein Gewissen. Genau jetzt – mit dieser Einsicht.
»Mann, das war so hart, als er …«
»Daniela hat sich heute mehrmals
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