Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
172,3 (German Edition)

172,3 (German Edition)

Titel: 172,3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincent Voss
Vom Netzwerk:
einwirkten. Gabi, sein Coach, hatte geraten, ein ruhiges Umfeld zum Abnehmen zu schaffen.
»Ruhiges Umfeld«, keuchte er, während er eine Steigung hochfuhr. Langsam wurde ihm warm und sein Zorn milderte sich mit jeder weiteren Anstrengung. Der Unfall. Schnaufend erinnerte er sich. Die Straße durch den Wald, die Dämmerung, der Fahrradfahrer. Viktor schüttelte den Kopf, als wolle er die Gedanken vertreiben, jedoch ließen sie sich nicht abschütteln. Der entscheidende Moment. Die huschende Bewegung aus dem Unterholz, der Schlenker, der Aufprall. Überdeutlich hörte er jetzt den Knall, sah den Schemen des Radfahrers, wie es ihn aus dem Sattel hob und er aus seinem Sichtfeld in den Wald flog.
»Verdammt«, zischte er und spürte jetzt, wie tief ihm der Schock in den Knochen steckte. Was war es, was dort aus dem Dickicht gelaufen kam? War es dasselbe, was ihm in seinem Garten begegnet war? Er wischte sich den Schweiß mit dem Oberarm von der Stirn und kam zu dem Entschluss, dass es dieselbe Kreatur gewesen sein musste. Beklommenheit stieg in ihm auf.
»Was bist du?«, presste er zwischen zwei Tritten durch die Zähne und sinnierte über die Frage. Die Tatsache, dass er so trocken die Existenz dieses Wesens ergründete, empfand er als paradox. Er glaubte es nicht bedingungslos, ansonsten hätte er entschiedener reagieren müssen. Das Ding folgte ihm und hatte den Tod eines Mannes verursacht, dem er zuvor den Tod gewünscht hatte. Reichte das nicht aus, um etwas dagegen zu unternehmen, anstatt hier auf seinem Heimtrainer herum zu strampeln? Er beugte sich vor, legte seinen Kopf auf den Unterarm und sah aus dem Wohnzimmerfenster in die Nacht. Warum zweifelte er? Weil es nicht sein konnte. Nicht sein durfte. Blutende Homunculi, die Menschen in den Tod trieben, gab es nicht. Jeder Polizist, jeder Kollege, jeder Arzt und jeder Psychologe würde ihm das bestätigen. Und dennoch, die Beifahrerin vor ihm hatte es gesehen und die sonderbare Frau bei dem Weight Watchers-Herbstfest hatte auch etwas gesehen.
»Was bist du?«, wiederholte er seine Frage und beschleunigte. Sein T-Shirt war durchgeschwitzt, er starrte weiter in die Dunkelheit und radelte so lange, bis er glaubte, inmitten des Ginsterstrauches, den er gar nicht sehen konnte, eine kleine blutig-glänzende Gestalt erkennen zu können, die ihn aus großen, weißen Augen anstarrte. Mit Angst ging er dann ins Bett. Und er hatte Recht. Aus dem Wald beobachtete ihn etwas.



160,2 kg
Den ganzen Samstag hatten sie sich als Familie ausgesprochen, hatten gestritten, geweint, sich versöhnt und beschlossen, den Sonntag gemeinsam auf dem Lübecker Weihnachtsmarkt zu verbringen. Sogar Daniela hatte sich darauf gefreut.
Sie kamen vom Rathaus und schlenderten die Holstenstraße bis zur Obertrave, wo ebenfalls einige Stände aufgebaut waren. ›Familienweihnachtsmarkt‹ stand auf einem Holzschild und ein kleines, hölzernes Tor führte in das beschauliche und liebevoll eingerichtete Areal.
»Wollen wir hier noch einmal lang?«, fragte Viktor und sah an Larissas Blick ihre Zustimmung und Begeisterung. Beide sahen zu Daniela, die den Hals reckte, um besser sehen zu können und dann nickte.
»Warum nicht? Sieht ganz nett aus, oder?«
»Finde ich auch«, bestätigte Larissa.
Zwischen kleinen Essständen, die sich vom Standard durch ihr exotisches Angebot, wie Falafel, Linsensuppe oder belgische Waffeln mit Vanilleeis abhoben, standen Kleinkunst- und Handwerksbuden. Leierkastenmusik zauberte eine besinnliche Stimmung, auf die sich Daniela, Larissa und Viktor einließen. Sie durchquerten einen angelegten Wald aus kleinen Tannenbäumen, zwischen denen – so stand auf einem Holzschild geschrieben – in kleinen, bunten und gut versteckten Häusern die Weihnachtswichtel lebten. Folgte man einem geheimen Wichtelpfad aus Holzspänen, konnte man sie alle entdecken.
»Komm!«, sagte Larissa, nahm ihn und Daniela an die Hand und zog sie zum ersten Haus. Larissa und Daniela spähten durch das Fenster und bekundeten ihre Freude an einem kleinen Wichtel, der in einer Miniaturwerkstatt arbeitete.
»Man kann sogar die Türen öffnen«, stellte Daniela fest und die beiden Frauen eilten zur Tür und öffneten sie. Viktor lachte und besah sich durch das Fenster den fleißigen Zwerg. Gut gemacht, fand er. Liebevoll. Daniela hatte einen Knopf entdeckt, der gut versteckten Lautsprechern emsige Arbeitsgeräusche entlockte. Sägen, Hämmern und klapperndes Holz.
»Wo geht denn der Pfad weiter?«, fragte

Weitere Kostenlose Bücher