172,3 (German Edition)
Fliege an der Windschutzscheibe zu zerdrücken, aber sie wich ihm geschickt aus. Polizei, Polizei, Polizei. War er nicht imstande seine Familie vor ein paar Halbwüchsigen zu schützen? Aus Sorge wurde Wut. Was bildeten die sich eigentlich ein? Nur weil der “Herr Vater“ im Hintergrund alle Sicherheiten erkaufen konnte, dass sogar Kirschstein vor ihm buckelte, gab das ihnen nicht das Recht, ihn zu bedrohen. Kirschstein! Er musste Kirschstein zwingen, etwas dagegen zu unternehmen. Er musste entscheiden. Und andernfalls musste Viktor eben etwas unternehmen. Was, wusste er noch nicht, aber es wurde Zeit, sich gerade zu machen. Nicht mehr so fett abzuwarten.
Mit quietschenden Reifen parkte er Zuhause ein und stieg mit zornigem Gesicht aus seinem Wagen. Er wurde von einer Ungeduld ergriffen. ›Daniela ist bei David‹ stand auf einem Klebezettel beim Telefon. Mehrmals hatte er versucht, Kirschstein, Larissa oder Daniela zu erreichen. Erfolgslos. Zumindest wähnte er seine Tochter bei David in Sicherheit.
*
Er stand am Wohnzimmerfenster. Es dämmerte und einzelne Schneeflocken flogen träge auf die hauchdünne Schneedecke, die sich bildete. Er musste etwas tun. Essen kam ihm nicht in den Sinn, früher wäre es so gewesen. Er zog sich seine Sportkleidung an und begann die Treppe in den ersten Stock auf und ab zu laufen. Oben ein paar Schritte ins Schlafzimmer bis zum Fenster, dort umgekehrt und wieder runter bis zur Terrassentür. Nach drei Durchgängen schnaufte er und wurde von zwei Fliegen verfolgt. Sie störten ihn, aber er nahm sie hin, hinterfragte sie nicht. Zu sehr war er in seiner Anstrengung, seiner Vision vertieft. Der wahre Viktor! Er lachte, verschluckte sich und hustete.
»Ihr werdet schon sehen, dass ich es schaffe«, stöhnte er die Treppen rauf. »Ihr werdet den wahren Viktor schon kennenlernen«, schnaufte er auf dem Weg nach unten. Nach zwanzig Durchgängen lehnte er schnell atmend und stark schwitzend an der Flurwand und trank mit mehreren großen Schlucken eine Flasche Wasser aus. Nachdem sich sein Puls beruhigt hatte, schritt er zu seinem Heimtrainer und schaltete das Gerät ein.
»Das war es noch nicht, Viktor. Du bist noch lange nicht fertig, mein Junge!«
Er schwang sich auf den Sattel, stellte eine hohe Schwierigkeitsstufe ein und trat in die Pedalen, bis er in den Rhythmus seiner Bewegung eintauchte. Gleichmäßig stampfend, wie ein Motor. Kolben hoch, Kolben runter. Der Schweiß tropfte ihm von der Stirn und der Nasenspitze. Die beiden Fliegen, die seinen Kopf umschwirrten, nahm er ebenso wenig wahr wie das Klingeln des Telefons. Entrückt radelte er, bis er nicht mehr konnte. Seine Beine glühten. Als er vom Sattel stieg, fühlten sie sich an, als seien sie aus Gummi. Mit wackeligen Schritten stakste er zum Kühlschrank, trank zwei große Gläser Apfelschorle, ging ins Bad, duschte und fiel nackt ins Bett und dort in einen tiefen Schlaf.
*
Viktor wachte auf. Er hörte Larissas Stimme aus dem Erdgeschoss. Sie telefonierte im Badezimmer. Er schnellte hoch, zog sich eine Shorts und ein T-Shirt über und reckte sich. Er fühlte sich gut. Langsam machte sich das verlorene Gewicht bemerkbar, seine Bewegungen wurden geschmeidiger und er war zu Dingen fähig, die ihm vorher nicht möglich waren. Zum Beispiel, wie er aus dem Bett hochgekommen war. Aus der Rückenlage ein Impuls, eine Drehung und er saß auf der Bettkante. Vorher musste er sich erst auf die Seite drehen und abstützen. Er umfasste seinen Bauch. Es lag noch viel Arbeit vor ihm. Er ging hinunter zu Larissa ins Badezimmer.
*
Sascha verteilte den Rest Cola auf die halbvoll mit Whiskey gefüllten Gläser. Auf Dennis’ Laptop kreischte Sally aus einem der ›SAW‹-Filme und befand sich kurz vor ihrem Tod. Alexander und Dennis beugten sich vor und nahmen ihre Gläser.
»Mann, wir hätten …«, begann Alexander an Dennis gewandt.
»Halt’s Maul Alex! Der Fettsack wird schon nicht zu den Bullen rennen, glaub mir.«
Alexander stand die Sorge ins Gesicht geschrieben. Seiner Ansicht nach waren sie zu weit gegangen. Schon bei Thomas. Sascha sah ihn verächtlich an, kippte den Whiskey in einem Zug runter und knallte das Glas auf den kleinen Holztisch.
»Was bist ´n du für ´n Lutscher? Du Missgeburt.«
Alexander stand auf, Sascha schnellte in die Höhe. Den ganzen Tag über lag Streit zwischen ihnen in der Luft. Auch wenn Alexander besorgt war, hieß es nicht, dass er ein Lutscher war.
»Alter, geht raus, oder beruhigt euch.«
Dennis regelte
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