172,3 (German Edition)
wiederholte er es in seinem Kopf. Er sah Sascha an.
»Lass los!«, wiederholte er seine Forderung, umklammerte Saschas Hände, der es geschehen, aber nicht los ließ. Hass keimte in Viktor auf, wuchs und wurde zu einer vernichtenden Welle. Er verstärkte seinen Griff. Eine Fliege landete auf seiner Stirn, irritierte ihn. Er schüttelte sie ab.
»Nimm deine Hände von mir!«, knurrte er und einen kurzen Moment spürte er eine Energie durch sich in Saschas Hände fließen, die ihm fremd war. Sascha ließ los, nahm den Zettel wieder an sich und blieb in Angriffshaltung stehen.
»Das ist deine Tochter, Fettarsch. Süß. Wir wollen doch alle, dass sie weiterhin so süß und lebendig bleibt, oder?«, sagte Dennis und Viktor wandte sich ihm zu. Die Kälte, die in seiner Stimme lag, schüchterte Viktor ein. Die Kälte und ein Hauch von Wahnsinn. Wusste der Junge eigentlich, was er hier machte? Welche Konsequenzen das haben konnte?
»Ich habe den Film nicht mehr«, sagte Viktor und gab seine Strategie des Nichtwissens auf. Dennis Wangenmuskeln verrieten Anspannung, während er überlegte.
»Wer hat ihn?«
»Kirschstein.«
Die Drei sahen sich an.
»Hör zu, wenn du uns da ins Spiel bringst, dann machen wir deine Daniela fertig, ich schwör!«
Viktor nickte, um Zeit zu gewinnen, um aus dieser Situation zu gelangen. Und dann … dann würde er Maßnahmen ergreifen, die Polizei verständigen, ihnen alles berichten und die Bastarde ersäufen! Er stockte. Der letzte Gedanke war nicht seiner, hatte sich untergemischt, ihm Bilder gezeigt.
» Digga , guck nich’ so gefickt! Hast du verstanden?«
Viktor hörte ihn nicht, sondern analysierte sein Innenleben. Dennis holte aus und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht.
»Hast du verstanden?«, zischte Dennis.
»Ja«, antwortete Viktor mit einer Stimme, die ihm selbst fremd vorkam.
»Wenn du uns die Bullen an den Hals hetzt oder wir von der Schule fliegen, bist du am Arsch … ist deine Tochter am Arsch, Digga !«
Mit einer schnellen Bewegung versetzte er Viktor einen dumpfen Schlag auf die Brust, so dass dieser zurückwankte. Dann drehte er sich um. Sascha und Alexander folgten ihm und sie verließen den Klassenraum mit dem Gang von Kämpfern und Gewinnern, kraftstrotzend und federnd. Viktor sah ihnen nach.
»Ich habe verstanden«, flüsterte er wie aus weiter Ferne und versuchte die sonderbaren Bilder in seinem Kopf, wie die Fliege, die ihn unnachgiebig umschwirrte, zu verscheuchen.
*
»Frau Gramer, ist Kirschstein … Direktor Kirschstein noch hier?«
Viktor kam ins Sekretariat geeilt und hatte die verschlossene Bürotür des Direktors wahrgenommen. Er atmete schwer.
»Das tut mir leid, Herr Vogel. Herr Kirschstein ist zu einem Termin.« Frau Gramer sah zu ihm auf, ein schlechtes Gewissen zeigte sich auf ihrer Miene. »Ich habe ihm die CD gegeben und ihm gesagt, dass sie heute dringend noch mit ihm darüber reden wollen. Noch vor Unterrichtsbeginn, habe ich ihm gesagt. Aber er war so in Eile. Die CD hat er jetzt mitgenommen.«
Viktor starrte sie fassungslos an. Kirschstein wollte ihm eins auswischen, weil er ihn letztens so abserviert hatte. Verletzte Eitelkeit und nun musste er seine Macht demonstrieren.
»Tja«, sagte Viktor.
»Rufen sie ihn doch über sein Handy an.«
»Ja«, sagte Viktor ohne Überzeugung und nickte. »Bis Morgen«, verabschiedete er sich und schloss die Tür.
*
Auf dem Rückweg versuchte er einen klaren Gedanken zu fassen. Sollte er die Polizei einschalten? Es wäre naheliegend. Seine Familie wurde bedroht und den Dreien würde er zutrauen, ihre Drohung in die Tat umzusetzen. Wütend verscheuchte er die Fliege, die ihm offenbar bis ins Auto gefolgt war. Sie würden es abstreiten und in der Gegenüberstellung würden sie seine Aussage überstimmen. Er konnte den Film als Beweis heranziehen. Das aber wollte er mit Kirschstein abstimmen.
Auf der Straße zur Fähre rief er Larissa auf ihrem Handy an. Mailbox. Sie hatte Dienst und ging nicht dran. Er rief Zuhause an, aber Daniela war entweder nicht da, hatte das Klingeln nicht gehört oder keine Lust mit ihm zu sprechen. Er versuchte es auf ihrem Handy, hatte aber auch da keinen Erfolg. Würden die Drei so schnell handeln können? Würden sie tatsächlich Daniela etwas zufügen wollen? Viktor wusste, dass die Drei während der Unterrichtszeit im Internat wohnten. Bestimmt war Dennis mit seinem BMW hier. Er musste wachsam sein und Larissa und Daniela warnen. Larissa würde die Polizei holen. Er versuchte die
Weitere Kostenlose Bücher