172,3 (German Edition)
keine unmittelbare Gefahr. Wahrscheinlich befand er sich in der Nähe oder tauchte gelegentlich in seinem Leben auf. Im Garten, bei dem Radfahrer. Viktor verharrte. Bei Sascha? Welche Rolle spielte er bei dessen Tod? Hatte er ihm den Tod gewünscht? Viktor erinnerte sich an nichts Verdächtiges. Selbst als sie ihm nachgestellt hatten, war Viktor ruhig und sachlich geblieben. Er schloss die Augen und rief die Erinnerungen hervor; den Klassenraum, seine Angst, als sie ihm den Weg abgeschnitten und ihn eingekreist hatten, wie er von Sascha festgehalten wurde …
›Nimm deine Hände von mir!‹ , hörte er sich sagen und erinnerte sich an das sonderbare Gefühl, das ihn durchströmt hatte. Konnte es sein, dass das der Befehl gewesen war, Sascha zu töten?
›Oder Herr Krüger wurde gebissen‹ , hörte Viktor den Beamten Bräunle sagen, und er erinnerte sich an den strengen Blick, den sein Vorgesetzter gezeigt hatte. Beide Hände waren zerfetzt gewesen. Viktor schluckte. Was konnte das gewesen sein? Das Wesen, das er gesehen hatte? Der Dämon? Er konnte es nicht glauben. Was aber, wenn doch? Schwachsinn, sagte er sich im selben Atemzug. Wenn es so wäre, dann müsste er sich nur wünschen, dass Dennis und Alexander sterben würden, und dieses Problem, die akute Bedrohung seiner Tochter, wäre aus der Welt geschafft.
»Ha«, musste er dreckig auflachen bei diesem Gedanken und empfand ihn absurd. Obwohl … wenn er genauer darüber nachdachte, was hatte er zu verlieren? Was gewann er dadurch? Eine drohende Gefahr wäre gebannt und er hätte Gewissheit über den Dämon. Reizvoll war dieser Gedanke. Reizvoll und durchtrieben. Er lies sich tiefer in die Wanne hineingleiten, um seine Haare für die anstehende Wäsche zu durchnässen. Dabei sann er seinen perfiden Gedanken nach, Dennis und Alexander den Tod zu wünschen.
*
Dennis nickte.
»Ja«, antwortete er kehlig und gedehnt. Auch er hatte es gespürt. Trotz des Stockes, mit dem er das Ding angestoßen hatte. Für Holz war es zu weich, für einen Sack oder ein Bündel aus Lumpen war es zu schwer und zu fest.
»Näher. Es muss hierher«, mahnte Dennis als er sah, dass Alex so gegen das Ding stieß, dass es abzutreiben drohte.
»Vorsichtig«, flüsterte er und ging seinerseits nun auch in die Hocke und stellte sich in die Uferböschung.
»Hab´s gleich«, keuchte Alex angestrengt. Er setzte seinen Ast von oben hinter dem Ding an und stakste mit dem Stock langsam in seine Richtung.
»Gut. Sehr gut«, flüsterte Dennis und leuchtete auf das Treibgut. »Noch ein Stück!«
Aus der Ferne bellte noch immer der Hund und leise gurgelte das Wasser vor ihnen.
»Das ist echt eklig, Mann! Was kann das denn sein?«, fragte Alex angewidert.
Dennis konnte es nicht erkennen. Es war fest, wie der Körper eines toten Tieres, glänzte ölig und rot. Wie rohes Fleisch schimmerte es an einigen Stellen durch. Was hatte sich der Fettsack dabei gedacht? Was war das? Alex konnte es nun mit der Hand erreichen.
»Zieh es an Land!«, befahl Dennis und durchbrach Alexanders Blockade aus Widerwillen. Der reckte sich, das Ding rollte im Wasser herum, packte ihn am Handgelenk und zog ihn ins Wasser.
*
Nur sein Gesicht, sein Bauch und seine Beine stießen durch die Wasseroberfläche. Viktor lag mit geschlossenen Augen im Wasser und lauschte. Wie immer. Töne unter Wasser, vor allem in so einem Resonanzbehälter wie der Badewanne, faszinierten ihn. Seine eigene Atmung, seine Körpergeräusche. Wenn er sich konzentrierte, konnte er seine Verdauungstätigkeiten hören. Und ebenso, wie sich sein Gewicht unter dem Druck des Wassers besser – angenehmer – verteilte, diffundierten auch seine Gedanken einfacher, um doch an einem Kern festzuhalten: Dennis. Dennis und der Dämon. Er spann den Gedanken weiter. Ihnen den Tod wünschen. Es auf einen Versuch ankommen lassen. Warum nicht? Ja, warum eigentlich nicht? Wegen der letzten Hemmungen, die ihm seine ethischen Grundsätze aufbürdeten? Man durfte niemandem den Tod wünschen. Aha. Und wenn Krieg wäre? Und wenn seine Familie vor seinen Augen misshandelt, gequält, geschändet und ermordet werden würde? Dann dürfte er niemandem den Tod wünschen? Was hatte dieses Szenario mit Dennis zu tun? Weil Dennis Krieg anzettelte! Er bedrohte seine Tochter, instrumentalisierte sie. Viktor hasste solche Niederträchtigkeit, wenn sie ihm begegnete. Wenn er Nachrichten hörte oder sah, wie Regenten zivile Kriegsopfer zur Meinungsmache missbrauchten und man sich fragte, wer
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