1726 - Die Polizistin
hätte ich die Tür geöffnet. So aber blieb ich erst mal stehen und wartete.
Noch eine Minute verging.
Jetzt begriff ich nichts mehr. Lange hatte ich in der Defensive abgewartet, jetzt war ich gefordert. Nur wusste ich nicht, wie ich vorgehen sollte.
Dann hörte ich ein leises Brausen. Aus dem Flur stammte es nicht, denn es war in meiner Umgebung verhältnismäßig ruhig. Den Laut hatte ich an der Tür gehört, und zwar ungefähr in Höhe des Schlosses.
Ich riskierte in meiner geduckten Haltung einen Blick um den Pfosten und sah, dass die Tür behutsam geöffnet wurde.
Einen Moment später hörte ich die Flüsterstimme.
»John…?«
Jetzt verstand ich gar nichts mehr…
***
Sie hatte geschossen!
Es war ein Reflex gewesen, aber Angela wusste auch, dass sie nicht getroffen hatte, denn sie hatte diese unheimlich schnelle Reaktion des Mannes nicht erwartet. Er hatte sich einfach weggeduckt. Die Kugel war in die Wand neben dem Bett geschlagen und hatte dort ein kleines Loch gebohrt, aus dem noch etwas Kalk stäubte.
Das war auch alles. Ob Sinclair sich noch in der Wohnung befand oder ob er sich in den Flur zurückgezogen hatte, konnte sie nicht mit Bestimmtheit sagen, denn ein Zuschlagen der Tür wäre im Echo des Schusses untergegangen.
Und so blieb sie erst mal neben dem Bett stehen. Sie hielt ihre Dienstwaffe noch in der Hand, sie aber sank langsam nach unten, als wäre die Pistole zu schwer geworden.
Plötzlich glühte es an ihrem Unterarm auf. So stark, dass der Schein beinahe ihr Gesicht erreichte. Sie schrie leise auf, ging nach hinten und presste ihren Rücken gegen den Schrank. Sie rechnete damit, die Fratze zu sehen, was nicht passierte, aber die eiskalte Luft strömte wieder über das Bett hinweg und traf ihr Gesicht.
Und dann hörte sie die Stimme.
»Da hast es versaut. Du hattest alle Möglichkeiten. Du hast sie nicht genutzt. Es wäre leicht gewesen, Sinclair mit einer Kugel zu treffen. Nein, das war eine Enttäuschung. Ich bin in eine Vorleistung getreten. Ich habe dich praktisch unverwundbar gemacht, und was tust du? Wie zeigst du deine Dankbarkeit? Du lässt dich reinlegen. Damit hast du mich im Stich gelassen, und das gefällt mir ganz und gar nicht.«
»Aber das habe ich alles nicht gewollt. Nein, ich war auch so zufrieden. Ich musste keinen Kugeln ausweichen oder sie mir. Ich wollte normal leben.«
»Du?«, höhnte die Stimme.
»Ja, ich. Wer sonst?«
»Das ist nicht möglich. Du bist seine Erbin. Ich habe ihm den Gefallen getan.«
»Erbin?«
»Ja.«
»Aber ich verstehe das nicht…«
»Denk daran, woher du kommst. Keiner sollte so schnell seine Heimat verlassen, wenn ihn etwas Bestimmtes daran bindet.«
»Aber mich bindet nichts.«
»O doch. Du hast es nur vergessen. Oder willst es nicht mehr wahrhaben. Es gibt diese Bindung, und ich gebe dir noch eine Chance.«
»Welche?«
»Fahr wieder dorthin, woher du gekommen bist. Ich gebe dir sogar die Chance, Sinclair zu täuschen, denn ich ziehe mich zurück, aber deine große Eigenschaft bleibt bestehen. Das verspreche ich dir.«
Angela war durcheinander. Es schwirrte in ihrem Kopf. Eine Frage beschäftigte sie besonders. »Wohin soll ich?«
»Zurück in deine Heimat.«
»Und dann?«
»Nichts mehr. Vergiss es. Fahr dorthin. Dort wirst du Antworten erhalten…«
Mehr wurde ihr nicht gesagt. Die Kälte zog sich zurück und Angela stand vor dem Bett und erlebte die Normalität, die zurückgekehrt war. Sie dachte nicht daran, noch mal auf John Sinclair zu schießen. Das war ihr plötzlich peinlich. Ebenso wie ihre Nacktheit.
»Mein Gott, was habe ich getan! Das ist ja verrückt und durch nichts zu entschuldigen.«
Und wo steckte Sinclair?
Sie glaubte nicht, dass er verschwunden war. So ein Typ war er nicht. Einer wie er blieb stets am Ball, und sie konnte sich vorstellen, dass er sich noch in der Nähe aufhielt. Zwar nicht in der Wohnung, aber auch nicht weit von ihr entfernt.
Sie öffnete den Schrank, streifte einen engen Slip über und dann auch einen roten seidigen Morgenmantel. So angezogen hoffte sie, dem Geisterjäger begegnen zu können.
Ihre Pistole legte sie neben die Beretta. Sie brauchte jetzt beide nicht mehr. Wichtig war die Entschuldigung und sie hoffte, dass John sie auch annahm.
Barfuß tappte sie aus dem Zimmer. Im Flur hielt sich John nicht auf. Auch das kleine Wohnzimmer war leer. Ihrer Meinung nach konnte er sich nur im Hausflur aufhalten.
Sie ging auf die Wohnungstür zu und merkte, dass ihr Herz
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