1731 - Der Zwitter
»Nein, das brauchen wir nicht. Es gibt meiner Ansicht nach nur eine Möglichkeit, und daran müssen wir uns halten.«
»Wie sieht sie aus?«
Die Tierärztin lachte. Dann stand sie auf und trat dicht vor die breite Scheibe. »Es ist alles ganz leicht. Wenn die andere Seite erneut angreift, egal wie sie das anstellt, wird das Objekt ihrer Begierde eben nicht mehr im Haus sein.«
»Kim muss weggeschafft werden?«
Maxine fuhr herum. »Ja, weggeschafft. Das ist der richtige Ausdruck. Er darf nicht hier im Haus bleiben.«
Carlotta nagte an ihrer Unterlippe. Es war ihr anzusehen, dass sie nachdachte, und in ihren Augen stand zu lesen, dass sie sich bereits auf dem richtigen Weg befand.
»Dann bin ich also der Joker!«
»Das habe ich nicht gesagt.«
Das Vogelmädchen lächelte. »Aber du hast daran gedacht, oder?«
»Richtig.«
Für eine Weile schwiegen die beiden, dann sagte Carlotta: »Ich könnte mit ihm wegfliegen.«
»Zum Beispiel.«
Carlotta blies die Luft aus. »Dann wäre meine Tarnung hinfällig, denke ich.«
»Das weiß ich, gebe aber zu bedenken, dass dieser Kim kein normaler Mensch ist. Irgendwo seid ihr Verbündete im Geiste. Du bist nicht normal und Kim ist es auch nicht. Ich denke nicht, dass er aller Welt bekannt geben wird, wer ihn da aus der Gefahrenzone geschafft hat.«
Carlotta nickte und sagte: »So könnte es tatsächlich laufen, aber ideal ist es nicht. Die andere Seite ist ja nicht dumm. Man wird herausfinden, dass man geleimt worden ist. Wenn auch nicht sofort, dann später. Und ich frage mich, wo wir uns verstecken können. Hast du eine Idee?«
»Im Osten liegt das Meer.«
»Richtig, und im Westen der Wald und auch die Einsamkeit der Berge. Da kenne ich mich ein wenig aus.«
Maxine hatte der Tonfall ihrer Ziehtochter nicht so recht gefallen. »Bist du denn dafür?«
»Ich weiß es nicht. Ich stecke in einer Zwickmühle. In der Stadt gibt es auch Verstecke, aber die Gefahr einer Entdeckung ist dort sehr groß.«
»Und an welche Verstecke hast du gedacht?«
Carlotta zuckte mit den Schultern. »An eine Kirche, zum Beispiel. Ich glaubte nicht, dass diese Brut so einfach in ein Gotteshaus eindringen wird. Kirchen sind zwar keine Festungen, aber gern hält sich die Bande dort sicher nicht auf.«
»Ja, da ist etwas dran.«
»Vielleicht behalte ich beides im Auge.«
Obwohl Maxine nicht restlos davon überzeugt war, stimmte sie zu. Sie sprachen darüber, dass Kim eingeweiht werden musste, und sie redeten auch über einen Zeitpunkt der Flucht.
Mit beiden Händen wehrte die Tierärztin ab. »Den ziehen wir so lange wie möglich hinaus. Sollte ein neuer Angriff erfolgen, könnt ihr immer noch fliehen. Ihr müsst nur alles vorbereiten.«
»Werden wir machen. Es ist nur schade, dass wir uns nicht schon jetzt auf Johns Hilfe verlassen können.«
»Ja, leider.« Maxine verengte die Augen. »Bis er eintrifft, vergehen Stunden.«
»Wie es dann wohl hier aussehen wird.«
»Abwarten.«
Carlotta drehte sich um und ging auf die Zimmertür zu. »Ich werde zu Kim gehen und mit ihm reden. Bin gespannt, was er dazu sagen wird.«
»Bring ihn am besten her.«
»Gut, wie du willst.«
In den nächsten Minuten blieb Maxine Wells allein zurück, sie war alles andere als deprimiert, doch zu viele Chancen sah sie nicht. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und versuchte, in den nächsten Sekunden zu entspannen. Es klappte nicht. Das Erlebte steckte noch zu sehr in ihren Knochen.
Sie fühlte sich jetzt wie in einer Falle sitzend. Der erste Angriff war schon nicht harmlos gewesen, und sie sagte sich, dass ein zweiter bestimmt gnadenloser sein würde.
Carlotta kehrte mit Kim zurück, und Maxine ließ ihre Hände sinken.
»Und? Kommt ihr zurecht?«
»Ja, ich habe mit Kim gesprochen und ihm erklärt, was passiert ist. Er war nicht überrascht.«
Maxine lachte leise. »Das kann ich mir denken. Schließlich kennt er seine Feinde.«
Der Zwitter setzte sich auf eine Sessellehne. Dann schaute er sich um und sagte mit leiser Stimme: »Carlotta hat mir von diesem Gnom erzählt. Er gehört zur dämonischen Seite. Aber so sind sie alle, sage ich euch.«
»Wie meinst du das?«
»Sie sind Trickser, Täuscher. Sie können sich verwandeln. Sie treten harmlos auf, aber das dicke Ende kommt meistens sehr schnell.«
Maxine hatte begriffen. »Dann müssen wir also mit völlig normalen Menschen rechnen.«
Kim nickte. »Zumindest nach außen hin. Nach innen sieht es anders aus. Da sind sie verdorben, aber das
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