1731 - Der Zwitter
für ein Messer mit mittlerer Klingenlänge.
Mit einem Ruck hatte Maxine es aus dem Block hervorgezerrt. Sie fuhr mit der Waffe in der Hand herum und sah, dass sich Benny wieder erholt hatte. Er schüttelte sich. Sie wollte nicht, dass er angriff, das nahm die Tierärztin selbst in die Hand. Die innere Anspannung musste sie einfach loswerden, und sie löste sich mit einem gellenden Schrei.
Zugleich griff sie an und stieß zu.
Benny kam nicht von der Stelle weg. Von oben fuhr das Messer auf ihn zu. Er wollte sein Gesicht noch zur Seite drehen, was er nicht so recht schaffte. Der Stahl erwischte ihn am Ohr und wenig später am Hals.
Eine breite Wunde entstand. Der Schrei hörte sich klirrend an. Aus der Wunde quoll eine dicke grüne Flüssigkeit. Der dämonische Gnom schüttelte den Kopf, als er sich in Richtung Tür auf den Weg machte. Einige Tropfen seines Bluts flogen umher und landeten auf dem Boden.
Dann rannte er durch die Tür in den Flur. Maxine hatte vorgehabt, die Verfolgung aufzunehmen, aber sie war in diesen Momenten zu geschockt und brauchte einige Sekunden, um sich zu fassen. Als dieser Zeitpunkt erreicht war, hielt sie nichts mehr. Jetzt gab es nur noch den Willen, den Gnom zu stellen.
Sie hörte das Schlagen einer Tür und wusste, dass es die Haustür gewesen war. Mit dem Messer in der Hand rannte sie los, riss wenig später die Haustür auf, rannte aber nicht ins Freie. Es war sicherer, wenn sie auf der Schwelle anhielt.
Sie sah den flüchtenden Gnom, der seine Wut hinausschrie, aber nicht mehr zurückkehrte, denn er rannte weiter.
Wohin er wollte, wusste Maxine nicht. Sie wusste auch nicht, ob er überleben würde, das alles war ihr in diesem Moment egal. Es zählte nur, dass sie gewonnen hatte.
Tief atmete sie ein und wieder aus. Ihr Herz schlug dabei schneller und auch unregelmäßig. Stiche durchdrangen ihren Kopf, und erst nach gut zwei Minuten hatte sie sich wieder gefangen.
Die Tierärztin lehnte sich gegen einen Türpfosten. Jetzt war sie wieder fähig, ihre Gedanken zu sammeln, und für sie stand fest, dass es ein erster Versuch gewesen war, diesen Kim zurückzuholen. Man gönnte ihm die Freiheit nicht. An einen Sieg ihrerseits wollte sie nicht denken. Was sie erlebt hatte, war wohl erst die Ouvertüre gewesen. Das große Ende würde noch folgen.
Hinter sich hörte sie ein Geräusch. Als sie sich umdrehte, stand Carlotta vor ihr.
»Und?«, fragte sie.
Maxine schüttelte den Kopf. »Verdammt«, flüsterte sie, »verdammt noch mal, das war knapp.«
»Und jetzt?«
Maxine hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich weiß es ehrlich nicht…«
***
Carlotta und ihre Ziehmutter waren ins Wohnzimmer gegangen, wo sie auch blieben. Kim ließen sie allein im Gästezimmer zurück. Was sie sich zu sagen hatten, das war nicht unbedingt für seine Ohren bestimmt.
Sehr bald hatte Carlotta alle Einzelheiten erfahren. So richtig freuen über den ersten Sieg konnte sie sich nicht, denn sie wusste, dass es erst der Anfang gewesen war. Die andere Seite würde nicht aufgeben, sie würde erneut zuschlagen, und das würde mit härteren Bandagen geschehen.
Da waren sich beide einig, und Carlotta fragte: »Was tun wir?«
Maxine legte den Kopf zurück und lachte. »Was können wir denn tun?«, fragte sie.
»Keine Ahnung.«
»Eben.«
»Obwohl es eine Möglichkeit gibt«, sagte Carlotta und sah Maxine dabei an.
»Okay. Und welche?«
»Wir lassen Kim laufen und beschützen ihn oder sie nicht mehr. Dann sind wir aus dem Schneider.«
»Würdest du das tun? Würdest du das vor deinem Gewissen verantworten können?«
Carlotta verdrehte die Augen. »Nein, natürlich nicht. Dazu habe ich hier zu viel gelernt. Dass man sich auch um andere Menschen kümmern muss, wenn es ihnen schlecht geht. Man kann oder darf sie nicht allein lassen. Und daran werden wir uns auch halten.«
»Richtig. Aber es wird sehr schwer werden.« Maxine schaute aus dem Fenster. »Es war der erste Versuch, da bin ich mir sicher. Sie werden erneut hier erscheinen, aber nicht nur mit einem dämonischen Kind, das sich verwandeln kann. Sie werden härtere Geschütze auffahren, viel härtere.«
»Das vermute ich auch.«
»Und wie können wir uns dagegen wehren?«
Das Vogelmädchen runzelte die Stirn. »Wir müssen uns eben etwas einfallen lassen, auch wenn dies unspektakulär ist.«
»Gut gesagt. Hast du eine Idee?«
»Nein, die habe ich nicht. Noch nicht. Deshalb sitzen wir ja zusammen, um darüber zu reden.«
Maxine winkte ab.
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