1739 - Justines grausamer Urahn
nicht als Vampire ansehen. Sie waren Halbvampire und raubten den Menschen das Blut. Nicht auf die klassische Art und Weise, wie es Justine Cavallo tat.
Ich richtete mich auf und hätte dabei fast gelacht. Dass ich so etwas entdecken würde, hatte praktisch auf der Hand gelegen, denn die Halbvampire hatten eine Führerin, auf die sie hörten, und das war keine Geringere als Justine Cavallo.
Sie hatten sie gefunden. Sie waren da, und sie würden alles versuchen, um ihre Chefin zu retten.
Den Anfang hatten sie gemacht. Und ich war mir sicher, dass es nicht lange dauern würde, bis auch andere Menschen den jungen Mann hier fanden.
Ich dachte daran, was ich von der Terrasse aus gesehen hatte. Das waren drei Gestalten gewesen, die ich jetzt mit den Halbvampiren in Zusammenhang brachte. Die Frage war nur, was sie jetzt noch vorhatten und wo sie steckten.
Ihr Vorhaben lag auf der Hand. Es ging ihnen um ihre Chefin. Sie musste befreit werden, und ich war mir sicher, dass sie die entsprechenden Informationen hier unten erhalten hatten, bevor sie das Blut getrunken hatten.
Möglicherweise waren sie auf dem Weg zum Zimmer der Conollys. Sicher war ich mir nicht. Ich hatte vor, mich noch hier unten ein wenig umzuschauen, aber ich wollte die Conollys und auch Serena nicht ahnungslos lassen.
Deshalb schnappte ich mir den Telefonhörer und rief im Zimmer der Conollys an.
Bill hob schnell ab.
»Ich bin es nur. Pass auf.«
»Bin ganz Ohr!«
In knappen Sätzen erklärte ich meinem Freund flüsternd, was ich hier unten entdeckt hatte. Er stieß einen leisen Fluch aus und fragte danach: »Was hast du vor?«
»Erst mal seid ihr gewarnt. Ich möchte mich hier unten noch etwas umschauen. Es kann durchaus sein, dass die Halbvampire noch hier sind. Es gibt hier noch potenzielle Opfer, die in der Bar sitzen. Da schaue ich mich um. Sollte ich nichts entdecken, komme ich wieder zu euch.«
»Ist okay. Aber von diesem Urahn hast du nichts gesehen?«
»Nein. Das wäre auch zu viel verlangt. Achte du darauf, dass bei euch nichts passiert.«
»Mach ich.«
Als ich die Rezeption wieder verließ, schwang die Eingangstür auf. Ein nicht mehr ganz nüchternes Paar betrat das Hotel. Der Mann und die Frau lachten. Sie hatten sich gegenseitig untergehakt und gingen leicht schwankend auf einen der Lifts zu. Mich bedachten sie mit keinem Blick, und einen Schlüssel brauchten sie auch nicht abzuholen.
Ich hatte mir bereits gedanklich die Bar als Ziel ausgesucht, und dabei blieb ich. Ich musste nur wenige Schritte gehen, um sie zu erreichen. Die Holztür mit den viereckigen Glasfenstern war nicht geschlossen.
Ich trat langsam ein und gelangte in eine Bar, die typisch alpenländlich eingerichtet war. Helles Holz überall. Farbkleckse brachten die bunten Kissen, die sich auf zwei Bänken verteilten. Die Stühle waren ebenfalls gepolstert, und auch da hatte man Farben genommen.
Die Theke war nicht zu übersehen. Sie lag der Tür gegenüber und schloss an einer Seite mit der Wand ab. Gegenüber war sie offen.
Bis auf zwei Stühle waren alle besetzt. Männer und Frauen bildeten die gleiche Zahl. Hinter der Theke arbeiteten zwei junge Frauen in Tracht.
Es gab auch Gäste, die an den Tischen saßen. Paare, aber auch ein männlicher Gast, der allein am Tisch saß. Vor ihm standen eine Flasche Wasser und ein Glas.
Dem Mann galt meine besondere Aufmerksamkeit. Er hatte eine Halbglatze und ein fleischiges Gesicht. Seine Kleidung war dunkel.
Der Gast saß so, dass er die Bar überblicken konnte. Er hatte auch mich gesehen, beachtete mich aber nicht besonders. Allerdings stellte ich fest, dass sein Blick recht unruhig war. Einen entspannten Eindruck machte er nicht. Zudem blickte er öfter auf seine Uhr.
Es waren noch weitere Tische frei. Ich suchte mir einen aus, der nicht weit von dem entfernt stand, an dem der Gast allein saß. Es war praktisch der Nebentisch, nur leicht versetzt.
Ich hatte all die Eindrücke innerhalb kurzer Zeit aufgenommen. Allerdings war auch ich gesehen worden. Eine junge Frau löste sich von ihrem Platz hinter der Theke. Lächelnd kam sie auf mich zu. Das dunkelblonde Haar hatte sie hochgesteckt.
»Einen wunderschönen guten Abend noch. Was darf ich Ihnen denn zu trinken bringen?«
»Erst mal ein Wasser.«
»Sehr gern.«
Sie verschwand wieder, ich lehnte mich zurück und drehte mich so, dass ich den einzelnen Gast im Auge behielt. Der hatte auch an mir Interesse, denn er schielte mich an. Seine Augen waren leicht verengt.
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