1739 - Justines grausamer Urahn
versuchen.«
»Gut.«
»Deine Nähe gibt mir Kraft«, erklärte die Cavallo. Sie brauchte das frische Blut, um das andere zu kompensieren. Die Schwäche war ihr noch anzusehen. Sie kam nur mit Mühe aus dem Sessel, und Sheila spürte den Blick der kalten Augen auf sich gerichtet. Ihr war klar, dass Justine kein Pardon kannte. Sie musste ihren Fehler einfach ausgleichen, und das schaffte sie nur, wenn sie Blut trank, das im Körper eines normalen Menschen floss.
Der Vampir mit dem schiefen Gesicht stützte sie ab, und so war sie in der Lage, sich normal hinzustellen. Aber es gab Probleme. Sie fing an zu schwanken. Ihr sonst so unnatürlich glattes Puppengesicht verzerrte sich. Ein Mensch hätte jetzt nach Luft geschnappt, was sie nicht brauchte.
Sie blieb stehen. Den Kopf hielt sie leicht gesenkt. Die Lippen bewegten sich, aber Sheila hörte nichts. Sie zeigte ihre Zunge, danach die beiden spitzen Zähne.
Dann ging sie vor.
Der erste Schritt klappte, auch wenn sie dabei einknickte. Ihr Urahn stand dicht hinter ihr. Er war bereit, sie zu unterstützen, wenn die Schwäche zu groß würde.
Sheila sah alles so intensiv und klar. Sie hätte sogar einen Fluchtversuch unternommen, was allerdings nicht möglich war, weil ihr Mann Bill noch immer am Boden lag und keine Anstalten traf, sich zu erheben. Sie wollte Bill nicht allein lassen.
Die Cavallo ging den zweiten Schritt. Dabei sackte sie ein, fing sich aber wieder und ihre Augen erhielten einen noch stärkeren Glanz, der auf Vorfreude hindeutete.
Für Sheila war klar, dass sie sich nicht kampflos ergeben würde. Die Cavallo war noch immer schwach. Sie traute sich sogar zu, die blonde Bestie irgendwie zu besiegen oder sie zumindest von sich fernzuhalten. Der Einzige, der eine Waffe bei sich trug, war John Sinclair, aber der war nicht zu sehen.
Ihre Gedanken und auch ihre Blicke wurden abgelenkt, weil sich Serena bewegte. Bisher hatte sie nichts getan und sich nur passiv verhalten.
Sheila hatte sie auch nicht ansprechen und um Hilfe bitten wollen, nun aber hatte die Heilerin ihre Starre verloren und schien eingreifen zu wollen.
Sie ging nicht schnell, sie behielt auch den Urvampir im Auge, der nicht eingriff.
Sheila rechnete damit, dass Serena sich gegen die Cavallo stemmte und ihr somit half. Doch das hatte sie nicht vor, denn sie schwenkte nach rechts ab.
Und dann ging sie schnell. Sie wollte es hinter sich bringen – und hatte plötzlich die Tür erreicht. Da drehte sie den Schlüssel. Sie riss die Tür auf.
Alles änderte sich. Plötzlich herrschte Durchzug, und Serena trat auf die Schwelle.
Dann sagte sie nur einen Satz, doch der hatte es in sich.
»Es wird Zeit, John!«
***
Ich hatte mich innerlich auf die Aufgabe eingestellt und war sehr konzentriert, als ich die letzten Schritte durch den Flur auf die Zimmertür der Conollys zuging.
Ich hatte das Kreuz nicht offen vor meine Brust gehängt. Wenn ich es einsetzen musste, dann sollte es eine Überraschung sein. Zudem hoffte ich noch immer auf die Schwäche der blonden Bestie.
Ein tiefer Atemzug, der letzte Schritt vor dem eigentlichen Ziel. Ich wollte schon nach der Klinke greifen, als die Tür von innen geöffnet wurde. Wer es getan hatte, sah ich nicht, aber ich hörte die Stimme.
»Es wird Zeit, John!«
Das war Serena. Sie stand noch im Zimmer. Ich wusste nicht, ob es eine Falle war, aber darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Zwei Schritte brauchte ich, stand vor der Tür, sah mit einem Blick, wer sich im Zimmer aufhielt, und trat über die Schwelle.
Serena war zurückgewichen. Ich sah auch Sheila. Ebenfalls Justine Cavallo, die vor Sheila stand und dabei leicht schwankte, weil niemand sie stützte. Noch immer sah sie schwach aus, aber das alles war irgendwie zur Nebensache geworden, als ich die düstere Gestalt mit den verschobenen Gesichtszügen sah und auch die langen, schon hellweißen Zähne.
Ich war für den Moment irritiert, hörte die Cavallo leise schreien und sah meine Chance. Sie war schwach. Sie stand dicht vor mir. Sie würde sich kaum wehren können, wenn ich sie mir packte, und deshalb reagierte ich sofort.
Ich lief auf sie zu, wollte zugreifen, doch dann passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte.
Ich stolperte. Ja, da lag etwas auf dem Boden. Es war ein schwerer Gegenstand, aber er war auch relativ weich. Ich konnte ihn nicht mehr zu Seite stoßen und fiel nach vorn.
Die Cavallo stand in der Nähe. Sie wich nicht aus. Ich prallte gegen sie und riss sie
Weitere Kostenlose Bücher