1744 - Der lebende Alptraum
Alternative, denn ich hatte den Eindruck, dass die Klänge von oben kamen. Auf welcher Etage sie ihren Ursprung hatten, fand ich nicht heraus.
Also stieg ich hoch.
Die Musik begleitete mich. Irgendwie blieben die Anschläge immer gleich. Da gab es keine Modulation.
Auch in der ersten Etage sah ich zwei Wohnungen, deren Türen sich gegenüberlagen. Hier tat sich ebenfalls nichts. Es zeigte sich niemand und es sah so aus, als hätten sich die Mieter hier im Haus an die Klänge gewöhnt.
Ich stieg weiter, passierte auch die nächste Etage, ohne dass sich etwas verändert hätte, und landete schließlich dort, wo es noch höher ging, die Treppe aber schmaler war und ich über sie den Dachboden erreichen konnte.
Es war schon seltsam, dass niemand auf die Musik reagiert hatte. Die Bewohner hier schienen es gewohnt zu sein, und ich wartete noch immer darauf, eine bestimmte Gestalt vor die Augen zu bekommen. Irgendwo musste sich Azur aufhalten.
Ich näherte mich dem Dachboden. Dann sah ich an deren Ende einen schmalen Absatz, der mit einer Tür abschloss. Ich wartete zudem darauf, dass mein Kreuz reagierte, doch da tat sich nichts.
Vor der Tür hielt ich an. Erneut lauschte ich und war davon überzeugt, den Spieler hinter der Tür zu finden. Ich ließ mir einige Sekunden Zeit, sammelte mich, zog meine Waffe und stieß die Tür mit einem heftigen Kick nach innen.
Kühler Wind fegte in mein Gesicht. Es herrschte Durchzug, weil zwei Fenster nicht geschlossen waren. Das eine lag vor mir und gehörte zur Gaube.
Ich trat ein.
»Tür zu!«, rief jemand mit einer noch recht jungen Stimme.
Ich fuhr nach rechts herum und sah einen Mann, einen noch jungen Mann, der von einem grünlichen Licht umschmeichelt wurde, vor einem Mischpult sitzen.
Er begrüßte mich auch, und seine Worte waren nicht eben nett. »Hau ab, verdammt!« Dabei stand er auf, und er bekam Augenblicke später meine Antwort mit.
»Genau das werde ich nicht tun!«
***
Es war wohl eine Antwort gewesen, die der junge Mann nicht erwartet hatte. Ich sah einen schlaksigen Typen vor mir im Schlabberpullover und mit Haaren auf dem Kopf, die denen des toten Gitarristen glichen.
Die Musik produzierte er selbst oder sein Mischpult, vor dem er stand. Lautsprecher waren nicht zu sehen, und ich fragte mich, wie es möglich war, dass wir die Klänge bis nach unten gehört hatten. Das war irgendwie verrückt und nicht nachvollziehbar. Zumindest technisch nicht.
»Was willst du?«
»Mit Ihnen reden.«
»Ich will nicht. Hau ab.«
Ich tat genau das Gegenteil und ging auf den Mann zu. Er konnte nicht älter als zwanzig Jahre sein. In seinem Gesicht fiel die lange schmale Nase auf, das Kinn war spitz, und in seinen Augen hatte sich das grünliche Licht verfangen.
Vor dem Pult blieb ich stehen. Er stand dahinter. Keiner von uns wich von der Stelle. Er bedachte mich mit wütenden Blicken, und es war wieder der junge Mann, der mir den Rat gab, zu verschwinden.
»Noch mal, das werde ich nicht tun.«
Er schaute mich an, diesmal von oben bis unten. Wahrscheinlich dachte er darüber nach, ob er in der Lage war, mich körperlich zu besiegen.
»Ich habe Sie gesucht«, erklärte ich.
»Und warum?«
»Weil ich etwas wissen will.«
»Fick dich. Ich gebe keine Antworten.«
Von irgendwelchen Beleidigungen ließ ich mich nicht aus dem Konzept bringen.
»Ich bin nicht gekommen, um sofort wieder zu verschwinden. Zunächst will ich Ihren Namen wissen.«
»Ich bin Archie Golding.«
Er hatte den Namen in einem Tonfall ausgesprochen, als müsste ich wissen, wer er war. Eines stand fest. Die Gitarrenklänge produzierte er durch sein Mischpult. Da lief auch ein Band, aber als normal sah ich es nicht an. Die Töne hätten niemals bis nach unten durchdringen können. Da musste noch etwas anderes dahinterstecken.
»Schalte das Band ab!«
»Nein!«
Ich wollte mich hier nicht zum Narren machen lassen, ging um das Pult herum, und da merkte der Typ, dass es mir ernst war. Er schaltete die Aufnahme ab.
Ruhe – endlich.
»Und jetzt?«, fragte er.
»Werde ich dir sagen, wer ich bin.«
»Juckt mich nicht.«
»Ich sage es dir trotzdem. Ich heiße John Sinclair und arbeite für Scotland Yard.«
Archie Golding antwortete mit einem Lachen. Er winkte mit beiden Händen ab. »Hat man dich geschickt, weil die Musik zu laut ist?«
»Nein, ich bin von allein gekommen.«
»Und warum?«
»Ich bin auf der Suche nach Azur.«
Bis jetzt hatte er sich leicht arrogant verhalten, nun aber fiel
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