176 - Insel der Fledermäuse
musste ich mich ebenfalls… umstellen. Es war eine harte Zeit, aber heute bin ich rundum zufrieden.«
Die Barbarin betrachtete ihn eindringlich. Wenn er so glücklich war, warum wurden seine Augen dann nass?
Waren es bloß die Schmerzen, oder auch die Erinnerung an eine andere, glücklichere Kindheit?
»Ich möchte den Gatchas einen Vorschlag machen«, sagte Aruula. »Einen, der euch und uns zugleich hilft.«
»Ich glaube nicht, dass die Ältesten mit sich handeln lassen«, meinte Chaang zweifelnd. »Die Mooken sind über jedes neue Mitglied in ihrer Gemeinschaft dankbar. Das Leben auf See erfordert große Opfer und birgt vielerlei Risiken. Jedes Jahr sterben Menschen beim Tauchgang, im Kampf gegen Seeungeheuer oder durch andere Unbilden. Solltet ihr jedoch mit dieser Wahl nicht einverstanden sein, so werden zumindest die Götter euer Opfer dankbar annehmen.«
»Lass mich selbst mit den Gatchas reden«, forderte Aruula. Sie kümmerte sich nicht weiter um den Jungen, sondern schritt forschen Schrittes auf die Ältesten zu.
»Nicht!«, rief ihr Chaang hinterher. »Sie sind tabu!«
Die umherstehenden Krieger, alle mindestens einen Kopf kleiner als Aruula und ihre Begleiter, griffen zu Lanzen und Stichwaffen. Langsam kamen sie auf die Barbarin zu und schützten die Gatchas mit ihren Leibern.
Sie blieb stehen; sie durfte es nicht zu weit treiben.
Wichtig war lediglich, dass sie die Aufmerksamkeit der Ältesten erregte. Sie konnte es nicht ausstehen, über einen Parlamentär mit Menschen zu verhandeln. Vielleicht log Chaang, vielleicht übersetzte er falsch. Die Barbarin wollte diesen Menschen ins Gesicht sehen, während sie redete.
»Gatchas, hört mir zu!«, rief sie über die nervösen Krieger hinweg. »Ich habe euch einen Vorschlag zu machen.«
Einer der Mooken-Männer stampfte herrisch auf den Boden und wies ihr mit einer Hand, sich von hier zu entfernen. Dabei brabbelte er Unverständliches, das seine Kollegen augenblicklich aufnahmen. Rasch bildete sich ein unrhythmisch klingender Sprechchor. Sie rückten langsam gegen Aruula vor und reckten dabei die Lanzen hoch in den Himmel.
»Wir werden euch helfen«, fuhr die Barbarin mit lauter Stimme fort. »Wir werden…«
Der Kordon der Mooken erreichte sie, berührte sie, drängte sie einfach beiseite. Die Gesänge dröhnten in ihren Ohren. Speichelflocken der laut kreischenden Krieger landeten auf ihrem Gesicht und ihrer Schulter.
Die Gatchas indes saßen weiterhin unbeeindruckt beisammen. Scheinbar nahmen sie die Bittstellerin nicht einmal wahr.
Schon hatte man Aruula trotz ihres Widerstands zu Chaang und Yngve zurückgedrängt, schon eilten weitere Mooken herbei, um sie aus dem Dunstkreis der Ältesten zu vertreiben…
»Wir werden die Batangs für euch töten!«, brüllte Aruula, so laut sie nur konnte. »Wir befreien euch vor dieser Brut, und im Gegenzug lasst ihr uns frei!«
Augenblicklich herrschte Stille. Vier der Gatchas blickten in ihre Richtung, während die Krieger erschrocken zurückwichen.
Batangs… Batangs … dieses eine, einzige Wort reichte aus, um die Mooken in Angst und Schrecken zu versetzen.
»Karamayan Batang!«, wiederholte Aruula. Die letzten vierundzwanzig Stunden hatten ihr gereicht, um sich die wichtigsten Ausdrücke dieses einfachen Volks zu merken. »Töten« gehörte zweifelsohne zu den meistgebrauchten Vokabeln, genauso wie essen, singen und fegaashaa.
»Karamayan Batang«, wiederholten die Krieger, »karamayan Batang«, wiederholten die Jungen, die sich währenddessen kaum um das Zeremoniell gekümmert hatten. »karamayan Batang« sagten schließlich auch die Ältesten – und winkten Aruula zu sich. Der Bann war gebrochen.
6.
Die Mooken brachten sie mit einem alten, wracken Kabaang in die Nähe der Hauptinsel Karimun. Sie gaben Aruula, Yngve, Chabilay Tihm und Chaang ausreichend Trinkwasser und Lebensmittel mit, bevor sie sich auf die fragliche Sicherheit des Meeres und ihrer zusammengebundenen Boote weit draußen zurückzogen.
»Karimun ist die Hauptinsel Karimunjawas«, flüsterte Chaang. »Hier hausen die Batangs seit mehreren Jahren. Sie breiten sich immer weiter über die Inseln aus; wie ihr sehen konntet, jagen sie unsere Tiere genauso wie jene des Waldes. Mehr als ein tapferer Krieger musste bereits unter ihren scharfen Krallen sein Leben lassen. Auch Halbwüchsige und Kleinkinder haben sie schon verschleppt…« Er sprang aus dem Boot und zog es ruckweise an den Sandstrand.
»Warum redest du so leise?«,
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