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176 - Insel der Fledermäuse

176 - Insel der Fledermäuse

Titel: 176 - Insel der Fledermäuse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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fragte Yngve, wartete aber eine Antwort des Jungen nicht ab. Er hüpfte ebenfalls aus dem Kabaang, stieß einen erleichterten Seufzer aus und blickte sich begeistert um. »Endlich wieder fester Boden unter den Füßen!«, grunzte er zufrieden. »Ich hatte schon jede Hoffnung auf ein Ende dieser ewigen Schaukelei aufgegeben.«
    Chabilay Tihm folgte als nächster. Mit dem antrainierten Misstrauen eines Söldners musterte er den nahen Wald, aus dem ein buntes Potpourri unbekannter Geräusche tönte.
    Aruula half, das Kabaang zur Gänze an Land zu ziehen. Dann nahm sie die Waffen an sich, die man ihr und ihren Begleitern zurückgegeben hatte. Das Messer verstaute sie wieder in der Hüfttasche.
    »Bleibt bitte ruhig, bei Jarunguul!«, sagte Chaang leise.
    »Man beleidigt die Ahnen, wenn man auf Karimun allzu laut redet. Außerdem«, so fügte er zögernd hinzu, »wecken wir möglicherweise die Batangs.«
    »Was hat es mit diesen Ahnen auf sich?«, fragte Aruula interessiert. Sie behielt dabei die nahe Umgebung im Blick, genoss aber gleichzeitig den warmen feinen Sand unter ihren Füßen.
    »Auf Karimun leben unsere Neen Lobon «, sagte Chaang zögerlich, als überträte er ein Tabu. »Unsere Vorfahren. Wir begraben die einbalsamierten und mit einer Salzlösung konservierten Toten im Landesinneren, nahe dem Aypayat-Berg. Meterhohe verzierte Pfähle werden nach dem Begräbnisritual durch den Leib der Toten getrieben. Die Geister der Vorfahren sind zufrieden, wenn sie sich durch dieses geheiligte Holz nach oben bewegen und mit ihren neuen Sinnen die Umgebung betrachten können. Sie unterhalten sich miteinander, lauschen dem Wind und dem Regen und beschützen unser Volk aus der Ferne.«
    Allmählich verstand Aruula das Dilemma der Mooken in seinem ganzen Ausmaß. »Ihr fürchtet also, dass diese Neen Lobon-Geister euch nicht mehr helfen können, weil die Insel durch die Batangs entehrt ist?«
    »So ist es«, antwortete Chaang. Immer wieder drehte er sich ängstlich im Kreis. Offenbar empfand er das genaue Gegenteil seiner drei Begleiter. Das Schlingern und Schwanken der Boote ging ihm ab. Er war dem festen Erdboden längst entwöhnt.
    »Erzähl mir ganz genau, was bei diesen Begräbnisritualen geschieht«, forderte Aruula den Halbwüchsigen auf. Yngve und Chabilay Tihm traten zu ihnen. Auch sie wirkten interessiert. Je mehr sie über diese Insel wussten, desto besser würden sie den Batang begegnen können.
    Chaang gehorchte. Anfänglich noch zögernd, aber immer rascher werdend erzählte er jene Geschichten, die von Alt an Jung weitergegeben wurden. Die Mooken kannten keine Schrift; für sie bestand das Leben lediglich aus Worten und Handlungen.
    Aruula erfuhr vom Heldenwald , in dem die berühmtesten und tapfersten Krieger der Seezigeuner ihre letzte Ruhestätte fanden. Weiter oben, näher zum Aypayat-Berg hin, ging man den Weg der Mütter entlang.
    Frauen, die sich als besonders gute Hüterinnen des Volksgutes einen Namen gemacht hatten, lagen dort begraben. Am Fuß des Berges selbst wurden die Gatchas bestattet. Im Offenen Kreis , der spiralförmig angeordnet war, lagen sie eng aneinander und erzählten sich Geschichten aus Gegenwart und Vergangenheit, so ging die Sage. Großfamilien hatten ihre eigenen Plätze, die vom Weg abzweigten. Nur durch schmale Trampelpfade kenntlich gemacht, gelangte man zu ihnen.
    Einmal im Jahr besuchten die Lebenden die Toten und ehrten sie mit einem großen Fest. An diesem einzigen Tag verließen die Mooken ihre Kabaangs, überwanden die Angst vor dem Festland und ehrten die Vorfahren. Sie rauchten seltsame Kräuter, die kundige Weiber an geheim gehaltenen Stätten pflückten, unterhielten sich in Tranceträumen mit den Neen Lobon, erzählten einander die Nacht hindurch alte Geschichten und traten schließlich mit dem Anbruch eines neuen Morgen singend den Heimweg an…
    »Du kennst all diese Wege?«, unterbrach Aruula den Jungen, der in einen seltsamen Singsang verfallen war.
    »Du weißt, wie wir am schnellsten zu diesem heiligen Berg gelangen?«
    Chaang schrak hoch. »Ja… aber warum gerade dorthin? Glaubst du etwa, dass die Batang ausgerechnet den Aypayat mit ihrer Anwesenheit entehren?«
    »Ja«, antwortete Aruula. »Diese Biester haben euch sehr gezielt angegriffen. Als wüssten sie ganz genau, dass sich das Volk der Mooken näherte.« Sie wurde nachdenklich. »Ich denke mir, dass die Batangs zu groß sind, um sich vom Erdboden aus in die Luft zu erheben. Ich vermute, dass sie aus der

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