1771 - Im Taumel der Nacht
gern auf den Wagen verzichtet und wäre bei den Männern geblieben, aber man hatte ihm eine andere Aufgabe zugeteilt. Er sollte nach Hause fahren und bei seiner Mutter bleiben. Nicht wie früher einfach nur der Sohn, sondern jetzt so etwas wie ein Bodyguard. Innerlich musste er lachen. Wie sich die Zeiten doch änderten.
Die Straßen in London waren keine Rennpisten. Und gegen starken Verkehr konnte auch ein Porsche nicht anstinken, denn Flügel hatte er noch nicht. So musste er sich ebenfalls durch den dichten Verkehr quälen, und erst in den südlicheren Gefilden der Stadt kam er schneller voran.
Auch Johnny hatte in seinem jungen Leben schon einiges hinter sich. Er war ein Conolly und hatte sich in der letzten Zeit schon öfter beweisen müssen. Er wusste, dass es Wesen gab, über die man gar nicht erst nachdenken durfte, und dazu gehörte auch Justine Cavallo, um die es hier wohl ging.
Aber sie war nicht allein. Sie hatte sich einen gefährlichen Helfer gesucht, der alles bisher da gewesene in den Schatten stellen konnte, wenn er es wollte. Für die Menschen um John Sinclair war es ungemein schwer, wenn nicht gar unmöglich, dagegen anzugehen.
Johnny hätte sich gern öfter eingemischt, aber dagegen waren seine Eltern und auch John Sinclair, dessen Patenjunge er war. Johnny rief nicht zwischendurch bei seiner Mutter an, er war froh, etwas freie Fahrt zu haben, und lenkte den Flitzer dann durch das Tor des Grundstücks, das offen stand, weil Sheila Conolly sich im Vorgarten befand, zusammen mit einem Gärtner, der dabei war, Bäume zu beschneiden.
Johnny hupte und winkte seiner Mutter zu, als diese sich umgedreht hatte. Er konnte nicht bis an das Haus und damit an die Garage fahren, weil der Transporter des Gärtners ihm den Weg versperrte. Deshalb parkte Johnny den Wagen am Wegrand und ging zu Fuß bis zu seiner Mutter, die ihn anschaute.
»Und?«
»Was ist mit und?«
»Bist du jetzt sauer, weil sie dich weggeschickt haben?«
Johnny gab seiner Mutter einen Kuss auf die Wange. »Nein, das bin ich nicht.«
»Lüg nicht. Du wärst gern bei ihnen geblieben.«
»Ja, irgendwie schon.«
»Okay, aber jetzt bist du hier. Und was hast du vor?«
Johnny schaute sich um. »Hier draußen zu bleiben, dazu habe ich keine Lust. Ich gehe ins Haus. Da habe ich mehr zu tun.«
»Wie du willst.«
»Hast du denn auch was zu essen?«
»Aha, daher weht der Wind. Klar, schau mal im Kühlschrank nach. Da findest du bestimmt etwas.«
»Danke.«
Johnny eilte ins Haus. Es war nicht mal gelogen, er hatte auch Hunger. Aber der eigentliche Grund, warum er es so eilig hatte, war ein anderer. Seit einiger Zeit besaß er seine eigene mit geweihten Silberkugeln geladene Beretta. Es hatte lange gedauert, bis sein Vater und auch John Sinclair zugestimmt hatten. Letztendlich jedoch hatten sie einsehen müssen, dass es besser war, wenn Johnny eine Waffe besaß, die er allerdings nicht mitnahm, wenn er zur Uni ging.
Das hatte er versprochen, und er hielt sich auch daran. Die Waffe selbst wurde in einem Tresor aufbewahrt, der im Arbeitszimmer seines Vaters stand, und dort eilte Johnny hin. Er kannte die Kombination des Schlosses, stellte sie ein, und dann zog er die Tür auf. Er schaute in den Tresor und sah seine Waffe, die in einem weichen Holster steckte.
Johnny zog die Pistole hervor. Das Holster ließ er im Tresor liegen. Er brauchte es nicht, denn er steckte die Waffe an der linken Seite in den Gürtel.
»Und du fühlst dich wirklich besser, wenn du die Pistole an deinem Körper trägst, Johnny?«
Er fuhr herum.
Seine Mutter schaute ihn an. Sheila war ihrem Sohn gefolgt, ohne dass er es bemerkt hatte, und er kannte ihren Blick. Dem blieb so leicht nichts verborgen.
»Was ist los, Junge?«
Johnny räusperte sich. »Ähm – eigentlich gar nichts, oder ist dir was bekannt?«
»Nein, das nicht unbedingt. Aber ich kenne dich und auch deinen Vater. Warum brauchst du hier eine Waffe? Du bist zu Hause, und da kannst du dich sicher fühlen.«
»Das stimmt alles. Aber man kann nie wissen.«
Sheila lachte. »Wirklich nicht?«
»Ja, man muss mit allem rechnen.«
»So?«
Johnny hob die Schultern. Er wusste, dass er seiner Mutter nichts vormachen konnte. Die durchschaute ihn leicht.
Sheila ging auf ihren Sohn zu und fragte: »Was ist wirklich los, Johnny? Weshalb bist du hier, warum hast du dich bewaffnet? Es muss Antworten geben, und die möchte ich von dir hören. Das ist alles.«
Johnny quälte sich, bevor er sprach. »Was ich
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