179 - Der rote Tod
Jungen!«
»Hol ihn dir!« höhnte Gwendolyn. »Hast du etwa Angst vor mir? Sieh dir den Kleinen genau an und sag mir dann, ob du ihn - wirklich haben willst.«
Warum sagte sie das? Verwirrt richtete James Lukas den Blick auf seinen Enkel, und ihm fiel auf, daß Gordons Augen blutrot waren.
Mit einer tiefen, rauhen Männerstimme stieß das Kind Verächtlich hervor: »Sieh dir diesen alten Narren an, Gwen. Wie leicht man ihn doch täuschen kann. Er begreift überhaupt nichts, der Einfaltspinsel.«
Sie lachten meckernd, umarmten sich und verschmolzen. Ihre Körper lösten sich ineinander auf, bis es nur wieder dieses schleimige Ungeheuer gab, dem es gefiel, mit den Gefühlen des alten Mannes grausam zu spielen. Eine große Faust bildete sich.
Sie sauste nach oben und durchstieß das Dach. Die Ziegel brachen und flogen wie vom Katapult geschleudert davon. Der rote Schleim löste sich schmatzend vom Boden und verließ James Lukas’ Haus. Er schnellte durch das Loch im Dach und war im nächsten Augenblick nicht mehr zu sehen.
Lukas stakste auf das Loch zu und richtete den Blick nach oben. Es ist weg, stellte er gebrochen fest, und meine Frau und meinen Enkelsohn hat es mitgenommen. Ich werde Gwendolyn und Gordon nie mehr Wiedersehen.
Er fühlte sich leer und ausgebrannt. Er fragte sich, woher er bis jetzt die Kraft genommen hatte, das alles durchzustehen.
Nun war er jedenfalls am Ende seiner Kraft. Er fühlte sich wie ein Greis. Unsicher schlich er zur Treppe zurück und stieg die Stufen hinunter.
Er hatte Angst zu stürzen, deshalb hielt er sich am Handlauf fest. Im Obergeschoß betrat er Gordons Zimmer.
Vor dem Bett sank er auf die Knie und holte seine alte Armeepistole hervor. Sie hatte ihm nichts genützt. Aber hatte er das unterschwellig nicht von Anfang an gewußt?
Mit tränennassen Augen schüttelte er den Kopf. »Gordon, oh, Gordon… Warum?« Ein dicker Kloß befand sich in seinem Hals. Er mußte das Zimmer rasch verlassen, konnte den Anblick des leeren Raums nicht länger ertragen.
Wieder im Erdgeschoß, fragte er sich, was er tun sollte. Die Polizei anrufen? Man würde ihm kein Wort glauben. Er hätte das Haus, in dem sich so viele schreckliche Dinge zugetragen hatten, am liebsten verlassen, aber er war zu müde und zu schwach.
Er schleppte sich zu seinem Sessel zurück und ließ sich seufzend hineinfallen, Das Leben war für ihn plötzlich nicht mehr lebenswert.
Sein trauriger Blick richtete sich auf die Pistole, die in seinem Schoß lag. Was sollte er noch auf dieser schrecklichen Welt?
Bald würde Vilma kommen, und er würde ihr sagen müssen, daß er nicht imstande gewesen war, ihre Mutter und ihren Sohn zu beschützen.
Ich bin ein Schwächling, würde er zugeben müssen. Nicht das geringste konnte ich für Gwendolyn und Gordon tun. Tatenlos mußte ich Zusehen, wie sich dieses Ungeheuer die beiden holte.
Da war die Pistole in seiner Hand. Ein Ausweg. Er brauchte sich die Waffe nur an die Schläfe zu setzen und abzudrücken, dann würde es keine Probleme mehr für ihn geben.
Ein einziger Schuß konnte alles beenden.
Er atmete schwer. Durfte er sich auf diese Weise der Verantwortung entziehen? Durfte er Vilma das antun? Sollte sie, wenn sie hierherkam, überhaupt niemanden mehr haben? Keine Eltern, keinen Sohn… War es nicht seine Pflicht, ihr in ihrer größten Not beizustehen?
Er fürchtete ihre Vorhaltungen. Sie wußte nicht, was geschehen war, aber sie würde denken, daß er nicht alles versucht hatte, um seine Frau und seinen Enkel zu retten. Es ist sehr leicht, einen Menschen zu verurteilen, ohne den genauen Sachverhalt zu kennen.
Er hob die Waffe, betrachtete sie von allen Seiten.
Wie oft hatte er geschossen? Wie viele Kugeln befanden sich noch im Magazin? Er wußte es nicht. Er war aber sicher, daß es mindestens noch die eine Patrone gab.
Er setzte die kalte Mündung an den Kopf, schloß die Augen und weinte. Aber er hatte nicht die Kraft abzudrücken. Schluchzend ließ er die Waffe sinken.
Etwas Rotes tropfte plötzlich aus dem Lauf.
Schleim!
***
Derek Lonnen und Ray Thompson würden durchkommen, davon waren wir überzeugt. Sie hatten das Schlimmste hinter sich. Von nun an würde es mit ihnen wieder aufwärtsgehen.
Wir fanden, daß ihre Angehörigen das wissen sollten, deshalb beschloß ich, sie aufzusuchen. Es gab dafür aber auch noch einen anderen Grund.
Nachdem die illegale Mülldeponie auf Travis Camerons Veranlassung zugeschüttet worden war, lag das Areal mehr
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