179 - Gefangene der Traumzeit
jedem Klirren schrie Schnäuzelchen auf. Schließlich lief sie hinter Kai-Uwe her. Die Menschen, die draußen vor dem Haus tobten, schrien nach Blut.
Aruula nahm an, dass sie auf Kai-Uwes Blut aus waren. Sie wusste nicht, womit er ihren Zorn auf sich gezogen hatte. Es interessierte sie auch nicht.
Sie wusste etwas anderes: Wenn sich empörte Massen gegen jemanden wandten, der in einem Palast wohnte – dann gute Nacht. Wahrscheinlich würde dieses Schloss in Kürze in Flammen stehen. Es war sicher nicht gesund, noch weiter hier zu verweilen.
Da sie sich nicht auskannte, war es wohl am Besten, wenn sie Kai-Uwe und Schnäuzelchen folgte. Und zwar schnell, denn schon schlugen hinter ihr weitere Steine aufs Parkett, und eine wütende Männerstimme schrie: »Los, Leute, fackeln wir die Bude ab!«
Das Gebrüll der aufgebrachten Masse war nicht zu überhören. Aruula eilte in den Korridor, schaute nach rechts und links. Keine Spur von Kai-Uwe und Schnäuzelchen, doch da stand ein Mann mit dem Gesicht des Weißen Ritters. Er trug die Livree eines Dieners und grinste frech. »Wenn Sie darauf verzichten möchten, dass man Ihnen die Haut abzieht, Gnädigste, würde ich diesen Weg nehmen…« Er deutete nach rechts.
»Danke.«
Wieder krachte es. Eine Stichflamme schoss aus dem Raum hervor, in dem Aruula auf dem Bett gelandet war. Sie lief los, vergeudete keinen Gedanken an den Livrierten. Sie musste raus, bevor alles brannte; bevor der Rauch sie vergiftete; bevor die Decke einstürzte und das Gestein sie erschlug. Sie passierte mehrere Türen. Am Ende des Ganges war rechterhand eine Treppe.
Runter. Eine Tür. Aruula riss sie auf. Luft. Freiheit!
Aber keine Spur von Kai-Uwe und Schnäuzelchen.
Links von ihr begann ein Motor zu brummen. Das Geschrei der Volksmassen war nicht leiser geworden. Im Gegenteil. »Da ist er ja!«, hörte sie jemanden brüllen. »Mit seiner Schlampe! In dem Ferrari da drüben! Sie wollen abhauen!«
»Wahhhhhh!« Die aufgebrachte Menge wälzte sich, brennende Fackeln, Spaten und Mistgabeln schwingend, wie eine Panzerarmee an Aruula vorbei, die wie gelähmt im Türrahmen verharrte.
»Packt sie!«
»Knüpft sie auf!«
Schüsse krachten. Der Mob war außer sich. Aruula sah wütend erhitzte Gesichter und gefletschte Zähne. Sie wusste zwar nicht, was Kai-Uwe angerichtet hatte, aber er tat ihr Leid.
Dann wurden ihre Arme von hinten gepackt. Ihr Kopf fuhr herum. Sie sah den weißhaarigen Diener. Er lachte höhnisch und schubste sie aus dem Haus.
»Meerdu!« Aruula stolperte über Marmorstufen. Ihr rechter Fuß knickte um. Sie verlor den Boden unter den Füßen.
Während die Villa hinter ihr explodierte, stolperte sie nach vorn…
***
… und der Mann im schwarzen Ledermantel fing sie auf.
»Vorsicht, Gnädigste…«
Sein Gesicht war kantig und männlich. Er hatte wache blaue Augen und das Gesicht des Weißen Ritters. Wäre sein Haar schulterlang gewesen und hätte er die Schirmmütze nicht getragen, auf der ein kleiner silberner Totenschädel prangte, wäre seine Ähnlichkeit mit Rulfan unübersehbar gewesen. Die Steifheit seiner Uniform ließ ihn irgendwie förmlich wirken.
»Mein Gott, wie sind Sie denn angezogen…!«
Ehe Aruula sich versah, nahm er ihre Hand und zog sie durch die Toreinfahrt auf einen Hinterhof. Mehrere rot erleuchtete Fenster kündeten von Leben. Hinter den Fenstern waren die Umrisse tanzender Männer und Frauen. Musik.
Gelächter.
Die Nacht war sommerlich lau. Der Mond stand hell am Himmel. Die Sterne funkelten prächtig. Trotzdem: Die Gegend, in der sie und der besorgte Uniformierte sich aufhielten, war wohl nicht die beste.
»Probleme, Sturmbannführer?«, rief eine Stimme aus der Finsternis.
»Nein, nein…« Der Uniformierte schob Aruula in einen Hauseingang.
Sie war zu überrascht über die plötzliche Änderung der Lage. In ihrem Inneren hallte noch das aufgebrachte Geschrei der Massen und loderten die Flammen vor ihren Augen.
Aruula hatte keine Ahnung, wer der Uniformierte war und wieso er sich so fürsorglich gab.
War er kein Ordnungshüter, sondern ein Söldner? Söldner mochten lockere Geschäfte und lose Frauen. Und für eine solche schien er sie wohl zu halten.
»Sie heißen?«, fragte er.
»Aruula.«
»Und weiter?«
»Mmmm… Drax.«
»Ich bin Wolfram.«
»Und weiter?« Aruula grinste. Wer war der Kerl? Und für wen hielt er sie?
»Von Austerlitz.« Wolfram knallte militärisch die Hacken zusammen. »Stets zu Diensten.«
»Ach, wirklich?«
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