1792 - Die Nachtjägerin
zugehört. Natürlich auch Irina Dark, die jetzt ihre Augen schloss. Wir sahen, dass sie anfing zu zittern. Zudem erbleichte sie, und es war durchaus möglich, dass sie einen inneren Kampf ausfocht. Es war wichtig, dass wir sie in Ruhe ließen, sie musste erst mal ihren Weg finden. Schließlich war sie nicht grundlos hergekommen, und wir gingen davon aus, dass sie es sich überlegte und sich ihre Verstocktheit so löste.
Niemand zwang sie, weiter zu reden. Sie hob ihren Kopf an, öffnete die Augen weit, und wir sahen, dass sie leicht gerötet waren. Aber sie hatte sich entschlossen, die Wahrheit zu sagen, und das teilte sie uns auch mit.
»Gut, ich will mich nicht herausreden. Ich werde die Wahrheit sagen.«
»Das ist gut«, murmelte ich, obwohl ich es ja eigentlich schon wusste, denn ich hatte ihre Worte verstanden, mit denen sie Jeb Fisher berichtet hatte, was vorgefallen war.
Sie schnaufte, holte noch mal Luft und fing an zu sprechen. »Ja, ich bin hierher gekommen, um etwas herauszufinden. Und es hängt auch mit dieser Leiche zusammen, die plötzlich alt ausgesehen hat. Ich wusste das, ich habe es gesehen, ich habe es getan, obwohl ich nicht dabei gewesen bin. Verstehen Sie das?«
»Nein«, sagte ich, »aber ich denke, dass es uns auch nicht weiter überrascht.«
»Wieso?«
»Etwas war mit Ihnen. Sie wussten nicht genau, was es gewesen ist, aber Sie wollten es herausfinden.«
»Ja.« Sie schüttelte den Kopf. »Dabei wusste ich alles, einfach alles.«
»Woher?«
»Ich habe es getan und war trotzdem nicht die Täterin.«
Jetzt kamen wir der Sache schon näher. Es war ja klar, dass sie etwas mit dem Fall zu tun hatte, aber dass sie so dicht dran war, das überraschte auch uns.
»Ja, Sie haben es getan«, flüsterte Jeb Fisher. »Sie waren hier in der Leichenhalle.«
»Das kann man so sagen. Nur stimmt es nicht wirklich. Ich bin es nicht gewesen, obwohl ich es war. Ein Geist hat sich mit der Person beschäftigt. Ein Geist, der mein Aussehen hatte. Ich könnte auch sagen, dass es mein Zweitkörper oder Astralleib gewesen ist, der sich von mir gelöst hat.« Sie hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. »Sie haben die Wahrheit hören wollen, das ist sie gewesen.«
Es wurde still. Irina sah auch keinen Grund, noch etwas hinzuzufügen. Sie presste die Lippen zusammen, bevor sie den Blick senkte, als wollte sie mit allem nichts zu tun haben.
Jeb Fisher saß auf seinem Platz und schüttelte den Kopf. Er konnte es nicht begreifen. Schließlich schlug er die Hände vor sein Gesicht.
Suko warf mir einen längeren Blick zu. Er nickte und erwartete eine Reaktion.
Ich nickte ebenfalls. Wir waren uns also einig. Es war für uns auch keine so große Überraschung, denn wir kannten Fälle, in denen der Zweitkörper eines Menschen eine große Rolle gespielt hatte. Da hatten wir in der Karibik schon böse Dinge erlebt.
Und nun deutete wieder alles darauf hin. Aber wieso war diese Frau in der Lage, einen Zweitkörper zu produzieren? Das war mir nicht klar, das musste man mir erst noch sagen. Die Menschen, die ich kannte und die dieses Phänomen erlebt hatten, waren anders gewesen als die junge Frau hier.
»Glauben Sie mir?«
»Ja«, sagte ich.
»Und Sie, Suko?«
»Ich glaube Ihnen auch.«
»Danke.«
Jeb Fisher meldete sich. »Mich dürfen Sie nicht erst fragen. Ich komme damit nicht zurecht. Das ist eine völlig abartige Welt für mich. So etwas habe ich noch nie erlebt, und das will ich auch nicht noch mal erleben. Ist das okay?«
Wir stimmten ihm zu. Er war nicht wichtig. Uns ging es um Irina Dark. Sie war der Anfang und sie war auch das Ende.
Plötzlich sprang Jeb Fisher auf. Seine innere Erregung hatte sich jetzt bei ihm nach außen übertragen. Er atmete heftig, bevor er sagte: »Ich muss hier raus. Ich muss an die frische Luft. Lassen Sie mich gehen?«
Wir hatten nichts dagegen.
Er stöhnte auf und schlug sich gegen den Kopf. Dann verließ er den Raum. Zurück blieben Irina, Suko und ich, und das war auch gut so, denn jetzt hatten wir die Frau für uns …
***
Es gab hier einen kleinen Kühlschrank, den hatte Suko entdeckt. Er fand noch eine Flasche Wasser, die er Irina Dark reichte.
»Bitte, trinken Sie, dann wird es Ihnen besser gehen.«
»Danke.«
Wir ließen ihr Zeit. Wach einer Weile stellte ich ihr die erste Frage oder sprach sie an.
»Sind Sie okay, Irina?«
»Ja, ich denke schon.«
»Das ist gut. Haben Sie sich schon mal Gedanken darüber gemacht, wie es kommt, dass gerade Sie
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