1792 - Die Nachtjägerin
achten, was der andere tat. Ich machte da ja keine Ausnahme.
Dann kam sie wieder auf das Thema zu sprechen. »Was haben Sie denn noch vor?«
»Wie meinen Sie das?«
»Es muss doch weitergehen.«
»Das denke ich auch.«
»Ja, John Sinclair, was haben Sie sich gedacht? Oder sehen Sie den Fall hier als beendet an?«
»Ganz und gar nicht.«
»Das dachte ich mir.«
»Ich muss Ihren Zweitkörper finden. Das ist alles. Wenn mir das gelingt, habe ich gewonnen.«
»Und was haben Sie mit ihm vor?«
»Vernichten.«
Sie war plötzlich still geworden. Ihr Blick nahm einen harten Ausdruck an, das fiel mir selbst bei diesem schwachen Licht auf. Ich hatte auch das Gefühl, dass sie dabei war, sich zu verändern. Sie war noch da, aber sie dachte und fühlte offenbar anders.
»Wie wollen Sie das anstellen?«
»Das weiß ich noch nicht.«
»Aber er hat Ihnen nichts getan. Denken Sie nicht daran, dass Sie einen Falschen treffen könnten?«
»Nein. Ich jage einen Mörder.«
Sie nickte langsam. Dann schüttelte sie den Kopf. Beide Gesten hatten mir angezeigt, dass sie ziemlich durcheinander war. Schließlich hatte sie sich gefangen und die richtige Antwort gefunden.
»Ich fühle mich nicht als Mörderin.«
»Richtig. Davon hat auch niemand gesprochen. Es geht nicht um Sie persönlich.«
»Wer weiß …«
Ihre Antwort hatte nur aus zwei Worten bestanden, und die hatten mich zum Nachdenken gebracht. Sie stand vor mir, aber sie kam mir plötzlich anders vor.
Dann bewegte sie sich.
Sogar doppelt.
Was? Doppelt? Ich hatte das Gefühl, nicht mehr am richtigen Ort zu sein. Vielleicht war auch mit mir etwas geschehen, mit meinem Augenlicht. Aber es stimmte. Sie bewegte sich doppelt, leicht versetzt voneinander, aber das war nur meine Wahrnehmung.
Es gab auch eine andere, und die stimmte zweifelsohne mehr. Jetzt wusste ich, wo ich den Zweitkörper zu suchen hatte. In dem ersten, und beide bildeten eine Einheit …
***
Es war alles sehr schnell abgelaufen, ich hatte auch nichts getan und hörte jetzt die Frage.
»Weißt du nun Bescheid, Sinclair?«
»In der Tat.«
»Dann können wir endlich zu dem kommen, was ich mir vorgestellt habe.«
Ich fragte nicht, was es war, aber ich konnte es mir vorstellen. Ich war nur fasziniert von dem Anblick, der sich meinen Augen bot. Hier waren der normale Körper und der Zweitkörper eine Symbiose eingegangen, sie gehörten jetzt wieder zusammen und waren in die Normalität zurückgekehrt.
Nicht normal war, dass bei dieser Verbindung beide Körper sichtbar waren. Und es war auch gefährlich für mich, denn der Zweitkörper, der den ersten überlagerte, war mit einer grünen Pistole bewaffnet, auf deren Lauf ein Schalldämpfer montiert war. Ich musste beim Anblick der Waffe an den toten Jeb Fisher denken. Jetzt wusste ich, wer ihn erschossen hatte.
Im Moment war nicht zu sehen, wer die Waffe hielt. Der normale Mensch konnte es ebenso sein wie der Zweitkörper. Das war alles schon seltsam.
Ich sprach Irina an. »Dann bist du die wahre Nachtjägerin, nicht wahr?«
»Ja, das bin ich.«
»Und jetzt gehst du auf Jagd?«
»Sicher.«
»Als Erst- oder als Zweitkörper?«
»Das spielt keine Rolle mehr. Ich werde töten. Ich bin so etwas wie ein killender Geist. Meine Großmutter hatte mich vor mir selbst gewarnt. Sie hat das andere in mir gespürt, das Böse.«
Ich wollte etwas sagen und bewegte dabei meinen rechten Arm, was ihr ganz und gar nicht gefiel.
»Rühr dich nicht, sonst schieße ich sofort! Denk nicht mal daran und auch nicht an dein Kreuz.«
»Das hat dich beeindruckt, wie?«
»Ich gebe es zu. Aber das ist gleich vorbei. Außerdem fühle ich mich gestärkt. Die letzte Kraft der Toten ist wichtig. Sie habe ich mir geholt. Sie brauche ich …«
»Ja, das weiß ich jetzt.«
»Und ich bin froh, dass ich meiner Wege gehen kann und zwei Feinde weniger habe.«
»Zwei?«
»Ja, zuerst mache ich dich nieder, dann kommt dein Kollege an die Reihe.«
In ihre Worte hinein klang eine andere Stimme. Sie gehörte Suko.
»Glaubst du denn wirklich, dass deine Rechnung aufgeht? Ich denke mal, eher nicht.«
Irina Dark schrie auf. Sie wusste für wenige Sekunden nicht, wie sie reagieren sollte, bis Suko ihr die Entscheidung abnahm.
Er sagte nur ein Wort, und er sagte es laut und deutlich.
»Topar!«
***
Ab jetzt sah alles anders aus!
Ab jetzt hatte Suko für fünf Sekunden freie Bahn, denn so lange hielt die Magie an. Niemand in Rufweite konnte sich bewegen, nur der Träger des
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