1798 - Drei Henker für Sinclair
nicht? Ich heiße Ruby.«
»Aha, so also. Und warum hast du in Lauder einen unschuldigen Menschen getötet?«
»He, das war nicht ich.«
»Wer dann?«
»Habe ich nicht von drei Henkern gesprochen?«, flüsterte sie. »Drei Henker für Sinclair. Das ist es, mein Freund …«
Ich wollte jetzt eigentlich erst richtig anfangen, aber es war nicht mehr möglich. Sie hatte genug gesagt und legte auf.
Ich saß da und schaute mir das Telefon an. Mehr war nicht drin. Aber ich war trotzdem einen Schritt weiter gekommen, ich wusste jetzt, dass man mir zu dritt im Nacken saß. Drei Henker. Eine Frau mit dem Namen Ruby und zwei Kerle.
Aber warum? Was hatte ich ihnen getan? Ich war in meinem Leben schon mit vielen Personen und Unpersonen zusammengekommen, aber nicht mit einer Henkerin, die den Namen Ruby trug.
Das Telefon stellte ich wieder weg und fragte mich, ob ich mich auf einen langen Abend gefasst machen sollte. Hielten sich die drei Henker bereits in London auf oder waren sie noch unterwegs und hatten auf der Strecke zwischen Lauder und London Station gemacht?
Daran glaubte ich eher, aber schwören wollte ich darauf nicht. Da gab es noch zu viele Alternativen.
Ich dachte darüber nach, meinem Freund und Kollegen Suko Bescheid zu geben. Er wohnte mit seiner Partnerin Shao nebenan. Manchmal ist es besser, wenn zwei oder mehr Menschen Bescheid wissen als nur einer.
Ich brauchte den Faden gar nicht weiter zu spinnen, denn mir fiel ein, dass Shao und Suko an diesem Abend nicht daheim waren. Er musste mit Shao ein Konzert besuchen, was ihm bestimmt super gefallen würde. Egal, ich würde schon allein zurechtkommen.
Warum waren sie mir auf der Spur? Was hatte ich ihnen getan? War ich das überhaupt gewesen oder ging es dabei um den anderen Sinclair, meinen Vater?
Das war gar nicht mal so weit hergeholt. Schließlich hatten die Henker in Lauder ihre Spuren hinterlassen, und da war es nicht um mich gegangen, sondern um meinen Vater oder meine Eltern, die dort gelebt hatten.
Seit längerer Zeit schon nicht mehr. Aber das schienen die Henker nicht gewusst zu haben. Sie mussten den Fall von vorn angehen, und da bot ich mich praktisch an, denn ich war ein Sinclair und der Nachfolger meines Vaters.
Hatte ich ihn wirklich richtig gekannt? Das war die große Frage, auf die ich eine Antwort finden musste. Erst wenn das geschehen war, würde es mir möglich sein, den Fall zu lösen. Davon ging ich zu diesem Zeitpunkt aus.
Dann spukte mir noch das Wort Erbe durch den Kopf. Ich wusste nicht, was ich geerbt hatte. Große finanzielle Reichtümer sicherlich nicht, aber etwas anderes. Ein Wissen, das mein Vater hätte weitergeben können. Es war nicht passiert. Zudem war er auch noch zu jung gestorben, und das Haus in Lauder war abgebrannt. Ich hatte eine Ruine geerbt, die allmählich anfing, von der Natur überwuchert zu werden.
Mein alter Herr hatte als Anwalt gearbeitet. Er war stets sehr ordentlich gewesen und hatte auch vieles aufbewahrt. Das nicht nur in Lauder, sondern auch in London, als er noch dem Beruf als Anwalt nachgegangen war.
Er hatte seine Praxis in einem Wohnhaus gehabt. Es war praktisch geteilt worden. Daran konnte ich mich gut erinnern, denn ich war dort aufgewachsen.
Das Haus hatte aus zwei Wohnungen und einem Keller bestanden. Eine Wohnung war als Kanzlei ausgebaut worden, darüber hatten meine Eltern und ich gelebt.
Im Keller war das Archiv gewesen. Ich erinnerte mich gut an die Räume, weil ich mich dort als Kind so manches Mal herumgetrieben hatte. Es hatte ja nicht nur dort das Archiv gegeben, sondern auch Räume, die wohnlich eingerichtet waren. Ich erinnerte mich daran, dass mein Vater des Öfteren dort Besuch empfangen hatte. Das hatte aber nichts mit seinem Beruf zu tun gehabt. Die Personen, die kamen, waren immer sofort in den Keller gegangen.
Das hatte mich neugierig gemacht. Ich hatte auch hingehen wollen, doch meine Mutter hatte es geschafft, mich zurückzuhalten.
»Das ist nichts für dich.«
Noch heute hatte ich ihre Worte im Ohr, und auch jetzt wusste ich nicht, weshalb die Männer meinen Vater besucht hatten. Er hatte mir auf Fragen keine konkreten Antworten gegeben und immer nur von Freunden gesprochen.
Es war schon seltsam, dass mir die Wohnung jetzt wieder in den Sinn kam. Jahrelang hatte ich nicht an sie gedacht. Plötzlich fiel sie mir wieder ein.
Warum?
Sollte das ein Wink des Schicksals sein? Das war durchaus möglich, aber davon musste ich nicht unbedingt ausgehen, es konnte
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