18 - Das tödliche Gebot: Thriller (German Edition)
entgegengesetzte Richtung.
»Zum Geld geht’s hier lang«, sagte Monarch, ohne stehen zu bleiben, ohne sich umzublicken.
Eine Weile regte sich nichts; dann hörte er, wie sie versuchten, ihn einzuholen. Lächelnd führte er sie durch Straßen und Alleen, die ihm schmerzhaft vertraut waren. Er stieg auf eine bestimmte Veranda und musste daran denken, wie er sich einige Tage nach der Ermordung seiner Eltern unter eine Pappschachtel gekauert hatte, um sich vor dem prasselnden Regen zu verstecken, der das Elendsviertel unter Wasser gesetzt hatte.
Die Erinnerung versetzte ihm einen Stich. Das ungute Gefühl wurde stärker, je mehr sie sich einer offenen Müllkippe näherten. Die Anwohner nannten sie El ano , »Arsch«, weil hier der gesamte Abfall der Villa Miseria und anderer Elendsviertel deponiert wurde. Taschenlampen und Laternen malten tanzende Lichtkreise in die Haufen. Monarch sah Menschen im Müll wühlen, darunter viele Kinder, und alles an sich raffen, von dem sie glaubten, es könnte ihre hungrigen Mägen füllen. Er blieb stehen und sah zu, außerstande, die Erinnerungen auszublenden, die als Reaktion auf diese Szene extremster Hoffnungslosigkeit in ihm aufwallten.
Auf diesen Müllhaufen sah Monarch sich selbst mit dreizehn Jahren, mehrere Wochen nach der Ermordung seiner Eltern, wie er zerlumpt, dreckig und halb verhungert im Abfall gestochert hatte. Die erste Nacht war die schlimmste gewesen. Von dem verdorbenen Zeug, das er in sich hineingestopft hatte, war ihm entsetzlich schlecht geworden, und so hatte er gelernt, sich jeden Bissen, den er in den Mund steckte, zuvor genau anzusehen. Zwei Tage später war er mit einem Jungen aneinandergeraten, der ihn angegriffen hatte, weil er sich zu nah an seine Wühlstelle herangewagt hatte. Robin hatte sich zwei Faustschläge ins Gesicht eingefangen, bevor etwas in ihm erwacht war, etwas Primitives, Instinktives, und er zurückgeschlagen, den Jungen getreten und den Hügel hinunter gestoßen hatte. Tags darauf hatte er gegen zwei Jungen gekämpft und gesiegt. Drei Tage später noch einmal. Doch am siebten Tag in El ano war er einem Burschen ins Gehege gekommen, der doppelt so alt war wie er. Der Mann hatte Monarch von hinten angegriffen und ihn mit einem Eisenrohr verdroschen, einmal gegen die Rippen, einmal auf den Kopf.
Robin kam erst Tage später wieder zu sich, auf einem der Trampelpfade in der Grube. Blut klebte ihm in den Haaren, und er konnte nicht aufstehen.
Er hatte einen älteren Jungen bemerkt, der in der Nähe auf einem Farbeimer saß und ihn mit Interesse beobachtete. »Ich bin Claudio«, hatte der Junge gesagt. »Ich lebe in Villa Miseria, seit ich sechs war, ganz auf mich allein gestellt. Seit fast neun Jahren muss ich nicht mehr selbst in El ano graben. Und ich lasse bestimmt nicht zu, dass mich alte Männer mit Eisenrohren schlagen.«
»Was?«, hatte Robin gemurmelt und dabei zu Claudio aufgesehen. »Hast du das etwa gesehen?«
»Weißt du nicht, wie man kämpft?«, sagte Claudio.
»Ich weiß das sehr wohl. Doch es war unfair.«
»Es wäre nicht passiert, wenn du die Regel Nummer eins befolgt hättest«, sagte Claudio.
Der pochende Schmerz in Robins Kopf war ihm auf den Magen geschlagen, und er musste sich übergeben. Als er fertig war und würgend und keuchend auf der Seite lag, kam Claudio zu ihm herüber und hockte sich neben ihn.
»Hör zu, du brauchst nicht so zu leben, Bruder«, sagte Claudio.
»Meine Eltern sind tot«, sagte Robin und hätte am liebsten geheult, nahm sich aber zusammen. »Niemand weiß, dass ich noch lebe. Und es kümmert auch keinen.«
»Das musst du selbst in die Hand nehmen«, sagte Claudio.
Robin dachte darüber nach. »Was kann ich denn tun? Wie soll ich denn überleben?«
»So wie ich«, sagte Claudio und zog ihn auf die Beine. »Befolge die achtzehn Regeln der Fraternidad de Ladrones .«
Claudio hatte Robin daraufhin erzählt, wie er mit Hilfe der achtzehn Regeln der Bruderschaft der Diebe überlebt hatte. Diese Denkweise, so Claudio, sei auch ihm in einer Nacht wie dieser übermittelt worden, vor sechs Jahren, fast an derselben Stelle, von einem sehr schlauen Burschen namens Julio Sánchez, dem Gründer und Anführer der Fraternidad.
Robin sagte: »Du stiehlst?«
»Wir nehmen uns, was wir brauchen. Hast du ein Problem damit?«
Robin schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht.«
»Gut«, sagte Claudio, als er Robin aus der Grube führte. »Regel Nummer eins: Du hast das Recht zu überleben.«
»Es
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