18 Gänsehaut Stories
setzte mich rückwärtsschreitend auf den Sessel. Ich fühlte nichts, aber ich sah den Gerichtsdiener im Spiegel hinter mir stehen. Wie am Abend zuvor legte ich mich zu Bett. Sobald ich im Bett lag, sah ich ihn wieder auf seinem Sessel.
Am folgenden Morgen verschwand er.
Die Erscheinung dauerte einen Monat.
Dann fehlte sie entgegen ihrer Gewohnheit und blieb einen Tag aus.
Diesmal glaubte ich nicht mehr an ein gänzliches Verschwinden wie das erstemal, sondern an irgendeine schreckliche Veränderung, und statt mein Alleinsein zu genießen, erwartete ich den nächsten Tag voller Entsetzen.
Am andern Tag hörte ich beim letzten Schlag der sechsten Stunde ein leises Rauschen in den Vorhängen meines Bettes, und an der Wand erblickte ich ein Skelett.
Das Skelett stand regungslos dort und blickte mich mit seinen hohlen Augen an.
Ich stand auf, machte mehrere Gänge in meinem Zimmer – der Totenkopf folgte allen meinen Bewegungen. Die Augen verließen mich keinen Augenblick, der Körper blieb regungslos.
Diese Nacht hatte ich nicht den Mut, mich zu Bett zu legen. Ich schlief, oder ich blieb vielmehr mit geschlossenen Augen im Lehnstuhl sitzen, in dem sonst das Gespenst saß, nach dessen Gegenwart ich mich nun sogar sehnte.
Mit Tagesanbruch verschwand das Skelett.
Am Abend befahl ich John, mein Bett von der Stelle zu rücken und die Vorhänge zuzuziehen.
Beim letzten Schlag der sechsten Stunde hörte ich dasselbe Rauschen, ich sah die Vorhänge sich bewegen, dann erblickte ich zwei Knochenhände, die die Vorhänge meines Bettes zurückschlugen, dann nahm das Skelett seinen Platz ein wie die Nacht zuvor.
Doch jetzt hatte ich den Mut, mich zu Bett zu legen.
Der Kopf, der wie tags zuvor allen meinen Bewegungen gefolgt war, neigte sich nun zu mir. Die hohlen Augen, die mich wie in der vorhergehenden Nacht keinen Augenblick aus dem Blick verloren hatten, hefteten sich auf mich.«
Am folgenden Tag kam der Doktor um sieben Uhr morgens in das Zimmer seines Freundes.
»Nun«, fragte er ihn, »was macht das Skelett?«
»Es ist soeben verschwunden«, antwortete dieser mit schwacher Stimme.
»Gut, wir wollen es so einrichten, daß es heute nacht nicht wiederkommt.«
»Tun Sie es.«
»Sie sagen, daß es mit dem letzten Schlag der sechsten Stunde kommt?«
»Jedesmal.«
»Gut, fangen wir damit an, die Uhr anzuhalten«, und er hielt den Pendel an.
»Was wollen Sie tun?«
»Ich will Ihnen die Möglichkeit nehmen, die Zeit zu erkennen.«
»Gut.«
»Jetzt wollen wir die Läden schließen und die Vorhänge der Fenster zuziehen.«
»Warum das?«
»Immer zu demselben Zweck, damit Sie nicht wissen, welche Tageszeit es ist.«
»Tun Sie es.«
Die Läden wurden zugemacht, die Vorhänge zugezogen, und wir zündeten Kerzen an.
»Halten Sie ein Frühstück und ein Mittagessen bereit, John«, sagte der Doktor, »wir wollen nicht zu bestimmten Stunden bedient sein, sondern nur dann, wenn ich rufen werde.«
»Sie hören, John«, sagte der Kranke.
»Ja, Herr.«
»Dann geben Sie uns Karten, Würfel, Dominos, und lassen Sie uns allein.«
John brachte die verlangten Gegenstände und entfernte sich.
Der Doktor begann damit, den Kranken nach Kräften zu zerstreuen, indem er bald plauderte, bald mit ihm spielte; dann, als er Hunger hatte, läutete er.
John brachte das Frühstück.
Nach dem Frühstück begann das Spiel wieder und wurde später durch ein neues Läuten des Doktors unterbrochen.
John brachte das Mittagessen. Sie aßen und tranken, nahmen Kaffee und spielten weiter. So für sich gelassen, erschien ihnen der Tag lang. Der Arzt glaubte, daß die verhängnisvolle Stunde vorüber sein müßte.
»Nun denn!« Er stand auf. »Viktoria.«
»Wie, Viktoria?« fragte der Kranke.
»Es muß zweifellos zum mindesten acht bis neun Uhr sein,
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