18 Gänsehaut Stories
schlechtsitzende Jacke und ausgebeulte Hosen, die an den Beinrändern etwas ausgefranst waren. So stand er da, als ich leise die Treppe heraufkam. Ich trug kein Licht (Sie wissen ja, auf dem Treppenabsatz brennt immer eine Lampe) und hatte meine weichen Hausschuhe an, und so bemerkte er mich nicht gleich. Bei seinem Anblick blieb ich jäh stehen. Ich hatte überhaupt keine Angst. Komisch – in solchen Fällen ist man meist viel ruhiger, als man annehmen sollte. Ich war überrascht und interessiert. Ich dachte: Großer Gott, ein Geist! Seit fünfundzwanzig Jahren habe ich nicht mehr an Geister geglaubt!«
»Hm«, machte Wish.
»Ich mochte kaum eine Sekunde da sein, als auch er mich bemerkte. Er fuhr erschrocken herum, und ich sah das Gesicht eines unreifen jungen Mannes mit fliehendem Kinn und dünnem Schnurrbart. Sekundenlang standen wir da und starrten einander an. Dann schien er sich seiner Berufung zu erinnern. Er richtete sich gerade auf und breitete die Arme aus, wie Gespenster es zu tun pflegen. So kam er auf mich zu, wobei er ein zaghaftes Buuuh! ausstieß. Nein, es war nicht beängstigend – überhaupt nicht. Ich hatte gut zu Abend gegessen, hatte eine Flasche Sekt getrunken und, da ich ganz allein war, hinterher noch zwei oder drei Whisky (vielleicht auch vier oder fünf). Ich fühlte mich stark wie ein Fels und war nicht mehr erschrocken, als ob mich ein Hund angebellt hätte. ›Was heißt hier Buh!‹ sagte ich barsch. ›Und was haben Sie überhaupt hier zu suchen?‹ Er zuckte zurück und wiederholte matt: ›Buuh.‹ Ich sagte: ›Unsinn! Was wollen Sie hier? Sind Sie Mitglied?‹ Und um ihm zu zeigen, wie wenig ich mir aus ihm machte, trat ich einfach durch ihn hindurch, nahm mir eine Kerze vom Tisch und zündete sie an. ›Sind Sie Mitglied?‹ wiederholte ich und sah ihn mir von der Seite an.
Er wich ein wenig zurück, und seine künstliche Pose fiel kläglich in sich zusammen. ›Nein, ich bin kein Mitglied‹, murmelte er dumpf. ›Ich bin ein Geist.‹
›Das gibt Ihnen noch kein Recht, im Mermaid Club aus und ein zu gehen. Wollten Sie eine bestimmte Person besuchen?‹ Ich bemühte mich, die brennende Kerze möglichst ruhig zu halten, damit er meine Furchtlosigkeit nicht etwa dem genossenen Whisky zuschriebe. ›Was wollen Sie hier?‹
Er hatte die Hände sinken lassen und stand verlegen und niedergeschlagen da, der Geist eines schwächlichen und unbedeutenden jungen Mannes.
›Ich spuke‹, murmelte er unsicher.
›Dazu haben Sie kein Recht.‹
›Ich bin ein Geist‹, verteidigte er sich schüchtern.
›Mag sein. Trotzdem haben Sie kein Recht, hier zu spuken. Das ist ein angesehener Privat-Klub. Manche Leute bringen gelegentlich ihre Familie mit. Bei Ihrer Unvorsichtigkeit könnte es leicht vorkommen, daß Sie irgendein junges Ding zu Tode erschrecken. Daran haben Sie wohl nicht gedacht, wie?‹
›Nein, Sir‹, gab er zu.
›Schlimm genug. Haben Sie denn irgendwelche besonderen Beziehungen zu diesem Ort? Ich meine – sind Sie vielleicht hier ermordet worden oder so was?‹
›Nein, das nicht. Aber ich dachte, weil das Haus so alt und dunkel und eichengetäfelt ist …‹
›Das ist keine Entschuldigung‹, sagte ich fest. Und mit freundlicher Überlegenheit fügte ich hinzu: ›An Ihrer Stelle würde ich nicht bis zum Hahnenschrei hier herumlungern – ich würde lieber gleich verschwinden.‹
Er trat verlegen von einem Fuß auf den andern. ›Die Sache ist die, Sir‹, begann er.
›Ich würde gleich verschwinden‹, wiederholte ich nachdrücklich.
»Es ist nämlich so, Sir – ich kann nicht.‹
›Sie können nicht?‹
›Nein, Sir. Ich muß irgend etwas vergessen haben. Ich treibe mich schon seit gestern um Mitternacht hier herum, verstecke mich in den Schränken der leeren Gästezimmer und
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