18 Gänsehaut Stories
Kälte. Sie hatten mich nicht berührt, und ebenso gewiß war ich, daß sie mich nicht gesehen hatten. Ganz gegen meine Befürchtung war ich auch von jenem auf dem Boden nachschleifenden Etwas nicht gestreift worden, und man ist ja in derlei bedrohlichen Momenten dem Schicksal noch für die geringste Vergünstigung dankbar.
Indes, dies Zurückweichen der unmittelbaren Gefahr brachte mir nicht viel Erleichterung. Vom Schauder geschüttelt stand ich in meiner Ecke, nicht fähig, auch nur um ein geringes freier zu atmen. Ich fühlte mich um keinen Deut weniger unbehaglich und mußte überdies noch gewahren, daß jenes eigentümliche Licht, das mich in den Stand gesetzt hatte, jeder Geste und jeder Bewegung der beiden zu folgen, mit ihrem Verschwinden aus dem Räume gewichen war. Eine übernatürliche Finsternis füllte nun das Zimmer bis in dessen letzten Winkel, so daß ich kaum noch die Fenster und die Glastür erkennen konnte.
Wie schon erwähnt, war meine Verfassung alles andere denn eine normale. Die Fähigkeit, irgendwelche Überraschung zu empfinden, schien mir, wie dies im Traume geschieht, zur Gänze abhanden gekommen zu sein. Meine Sinne registrierten auch das kleinste Begebnis mit ungewöhnlicher Schärfe, doch war ich durchaus nicht imstande, mehr als die primitivsten Schlüsse daraus zu ziehen.
Die Indianer waren alsbald bis zum oberen Ende der Treppe vorgedrungen und hielten jetzt für einen Augenblick inne. Ich hatte nicht die leiseste Vermutung, was sie als nächstes tun würden. Auch schienen sie zu zögern. Offenbar lauschten sie. Dann vernahm ich, wie einer von ihnen, nach dem Gewicht seiner schleichenden Schritte wohl der große, den engen Korridor querte und die Kammer mir zu Häupten betrat – mein eigenes, kleines Schlafgemach! Und wäre jene gestaltlose Morgenangst nicht so drängend gewesen, so hätte ich jetzt dort oben in meinem Bett gelegen, den riesenhaften Indianer ganz nah an meiner Seite!
Eine endlose Minute lang herrschte so abgründige Stille, als stünde in der Schöpfung die Geburt des Lautes noch bevor. Urplötzlich aber zerriß ein langgezogener, entsetzensgeschüttelter Schrei das nächtliche Schweigen, lief jedoch, noch ehe er seine volle Stärke erreicht hatte, in ein ersticktes Röcheln aus. Im nämlichen Moment verließ auch der zweite Indianer seinen Posten am Ende des Treppenaufgangs und folgte seinem Gefährten in die Schlafkammer. Ich hörte, wie jenes Etwas hinter ihm über den Boden schleifte. Dann vernahm ich einen dumpfen Aufschlag, als wär’ ein schwerer Gegenstand zu Boden gefallen – und gleich darauf war alles wieder ruhig wie zuvor.
So weit waren die Dinge gediehen, als ein blendender Blitz die Dunkelheit zerriß, und fast gleichzeitig ein fürchterlich krachender Donner das tödliche Schweigen spaltete: Nun entlud sich mit einem Schlag, was als Himmelselektrizität sich den ganzen Tag über in der Atmosphäre aufgestaut hatte! Sekundenlang war jeder Gegenstand in dem Zimmer mit erstaunlicher Klarheit zu erkennen, ja sogar das feierliche Spalier der Baumstämme vor den Fenstern konnte ich deutlich unterscheiden. Und der Donner rollte fort von Echo zu Echo, verlor sich grollend über der Weite des Sees und zwischen den fernen Inseln, während der Himmel schon seine Schleusen geöffnet hatte und seine Wasser in schäumenden Katarakten erdenwärts entließ.
Die Regenflut brach mit zischendem Brausen über den bislang so reglosen See herein, dessen Wasser sich nun aufschäumend dem herniederstürzenden Element entgegenwarfen, und prasselte als ein himmlisches Salvenfeuer in die Laubkronen der Ahornbäume und auf das Dach der
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