18 Gänsehaut Stories
Dunkel!
Zu meiner Rechten stand, nahezu in Griffweite, der riesenhafte Indianer, das eine Bein zum Schritt gestreckt, die mächtigen Schultern jedoch zu dem Gefährten herumgewandt. So konnte ich die Züge des Riesen in ihrer ganzen, großartigen Wildheit erkennen. Sein Blick freilich war auf die Last geheftet, welche der andere über den Boden schleifte, doch das Profil mit der scharfen Adlernase, den hohen Backenknochen, dem glatten schwarzen Haar und dem kühn vorspringenden Kinn brannte sich in dieser flüchtigen Sekunde unauslöschlich in mein Gedächtnis ein.
Gegen so gewaltige Erscheinung wirkte der zweite Indianer nahezu zwerghaft: Er stand noch nicht einmal ein Fuß von mir entfernt, nahezu neben mir, und verharrte in gebückter Stellung über seiner Last, in einer Haltung also, die ihm noch das zusätzlich Grausige der Krüppelhaftigkeit verlieh. Die Last aber, die auf einem über den Boden schleifenden Zedern-Ast hingestreckt lag, war der leblose Körper eines Weißen! Man hatte ihm kunstgerecht die Kopfhaut abgeschält, so daß Stirn und Wangen über und über mit Blut verschmiert waren.
Solcher Anblick löste zum erstenmal in dieser Nacht den Zauberbann des Grauens, der mir Muskeln und Willen gelähmt hatte. Aufschreiend streckte ich die Arme, um dem Riesen an die Gurgel zu fahren! Doch was ich zu fassen bekam – es war die leere Luft! – Die Sinne schwanden mir, und ich schlug der Länge nach zu Boden.
Ich hatte den Toten erkannt – sein Gesicht, es war das meine! …
Es war schon heller Tag, als eine Männerstimme mich ins Bewußtsein zurückrief. Ich lag, wo ich in der Nacht lang hingeschlagen war, und über mir stand der Farmer, die Brotlaibe in Händen. Das Grauen der Nacht saß mir noch immer im Herzen, und während der stämmige Siedler mir auf die Beine half und sich nach dem Gewehr bückte, das mir im Hinstürzen entglitten war, wobei er unter allerlei Fragen sein Mitgefühl bekundete, kam mir zu Bewußtsein, daß meine einsilbigen Erwiderungen ihm keinerlei Auskunft bedeuten, ja nicht einmal verständlich sein konnten.
Noch denselben Tag, nachdem ich das Haus ebenso gründlich wie ergebnislos durchsucht hatte, kehrte ich der Insel den Rücken und fuhr mit dem Farmer zum Festland hinüber, um die letzten zehn Tage meines hiesigen Aufenthalts unter seinem Dach zu verbringen. Und als die Zeit des Abschiednehmens herangekommen war, hatte ich mein Pensum aufgearbeitet, und auch mein nervliches Gleichgewicht war zur Gänze wiederhergestellt.
Am Tage meiner Abreise brach der Farmer schon frühmorgens mit seinem geräumigen Ruderboot auf, um alle meine Habseligkeiten bis zu dem zwölf Meilen entfernten Anlegeplatz zu bringen, der zweimal wöchentlich von einem kleinen Dampfboot angelaufen wurde, das die Jäger mit allem Nötigen versorgte. Spät am Nachmittag machte auch ich in meinem Kanu mich auf den Weg, freilich in anderer Richtung: Ich wollte jener Insel, auf der ich einem so seltsamen Begebnis zum Opfer gefallen, noch einmal einen Besuch abstatten.
Ich traf zur rechten Zeit auf ihr ein und durchstreifte sie ein letztes Mal. Auch die Blockhütte suchte ich noch einmal auf und betrat, nicht ohne die widerstreitendsten Empfindungen, meine Schlafkammer im Oberstock. Aber nichts Ungewöhnliches war zu sehen.
Ich hatte eben vom Ufer abgelegt, als ich voraus in meinem Fahrwasser ein Kanu bemerkte, das soeben hinter der Insel hervorgeglitten war. Ein Kanu um diese Jahreszeit war ein ungewöhnlicher Anblick, und jenes da vorn schien zudem noch wie aus dem Nichts gekommen zu sein! Sobald ich meinen Kurs ein wenig geändert hatte, konnte ich es im Auge behalten, bis es hinter dem nächsten, vorspringenden
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