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18 Gänsehaut Stories

18 Gänsehaut Stories

Titel: 18 Gänsehaut Stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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Dun­kel!
    Zu mei­ner Rech­ten stand, na­he­zu in Griff­wei­te, der rie­sen­haf­te In­dia­ner, das ei­ne Bein zum Schritt ge­streckt, die mäch­ti­gen Schul­tern je­doch zu dem Ge­fähr­ten her­um­ge­wandt. So konn­te ich die Zü­ge des Rie­sen in ih­rer gan­zen, groß­ar­ti­gen Wild­heit er­ken­nen. Sein Blick frei­lich war auf die Last ge­hef­tet, wel­che der an­de­re über den Bo­den schleif­te, doch das Pro­fil mit der schar­fen Ad­ler­na­se, den ho­hen Ba­cken­kno­chen, dem glat­ten schwar­zen Haar und dem kühn vor­sprin­gen­den Kinn brann­te sich in die­ser flüch­ti­gen Se­kun­de un­aus­lösch­lich in mein Ge­dächt­nis ein.
    Ge­gen so ge­wal­ti­ge Er­schei­nung wirk­te der zwei­te In­dia­ner na­he­zu zwerg­haft: Er stand noch nicht ein­mal ein Fuß von mir ent­fernt, na­he­zu ne­ben mir, und ver­harr­te in ge­bück­ter Stel­lung über sei­ner Last, in ei­ner Hal­tung al­so, die ihm noch das zu­sätz­lich Grau­si­ge der Krüp­pel­haf­tig­keit ver­lieh. Die Last aber, die auf ei­nem über den Bo­den schlei­fen­den Ze­dern-Ast hin­ge­streckt lag, war der leb­lo­se Kör­per ei­nes Wei­ßen! Man hat­te ihm kunst­ge­recht die Kopf­haut ab­ge­schält, so daß Stirn und Wan­gen über und über mit Blut ver­schmiert wa­ren.
    Sol­cher An­blick lös­te zum ers­ten­mal in die­ser Nacht den Zau­ber­bann des Grau­ens, der mir Mus­keln und Wil­len ge­lähmt hat­te. Auf­schrei­end streck­te ich die Ar­me, um dem Rie­sen an die Gur­gel zu fah­ren! Doch was ich zu fas­sen be­kam – es war die lee­re Luft! – Die Sin­ne schwan­den mir, und ich schlug der Län­ge nach zu Bo­den.
    Ich hat­te den To­ten er­kannt – sein Ge­sicht, es war das mei­ne! …
    Es war schon hel­ler Tag, als ei­ne Män­ner­stim­me mich ins Be­wußt­sein zu­rück­rief. Ich lag, wo ich in der Nacht lang hin­ge­schla­gen war, und über mir stand der Far­mer, die Brot­lai­be in Hän­den. Das Grau­en der Nacht saß mir noch im­mer im Her­zen, und wäh­rend der stäm­mi­ge Sied­ler mir auf die Bei­ne half und sich nach dem Ge­wehr bück­te, das mir im Hin­stür­zen ent­glit­ten war, wo­bei er un­ter al­ler­lei Fra­gen sein Mit­ge­fühl be­kun­de­te, kam mir zu Be­wußt­sein, daß mei­ne ein­sil­bi­gen Er­wi­de­run­gen ihm kei­ner­lei Aus­kunft be­deu­ten, ja nicht ein­mal ver­ständ­lich sein konn­ten.
    Noch den­sel­ben Tag, nach­dem ich das Haus eben­so gründ­lich wie er­geb­nis­los durch­sucht hat­te, kehr­te ich der In­sel den Rücken und fuhr mit dem Far­mer zum Fest­land hin­über, um die letz­ten zehn Ta­ge mei­nes hie­si­gen Auf­ent­halts un­ter sei­nem Dach zu ver­brin­gen. Und als die Zeit des Ab­schied­neh­mens her­an­ge­kom­men war, hat­te ich mein Pen­sum auf­ge­ar­bei­tet, und auch mein nerv­li­ches Gleich­ge­wicht war zur Gän­ze wie­der­her­ge­stellt.
    Am Ta­ge mei­ner Ab­rei­se brach der Far­mer schon früh­mor­gens mit sei­nem ge­räu­mi­gen Ru­der­boot auf, um al­le mei­ne Hab­se­lig­kei­ten bis zu dem zwölf Mei­len ent­fern­ten An­le­ge­platz zu brin­gen, der zwei­mal wö­chent­lich von ei­nem klei­nen Dampf­boot an­ge­lau­fen wur­de, das die Jä­ger mit al­lem Nö­ti­gen ver­sorg­te. Spät am Nach­mit­tag mach­te auch ich in mei­nem Ka­nu mich auf den Weg, frei­lich in an­de­rer Rich­tung: Ich woll­te je­ner In­sel, auf der ich ei­nem so selt­sa­men Be­geb­nis zum Op­fer ge­fal­len, noch ein­mal einen Be­such ab­stat­ten.
    Ich traf zur rech­ten Zeit auf ihr ein und durch­streif­te sie ein letz­tes Mal. Auch die Block­hüt­te such­te ich noch ein­mal auf und be­trat, nicht oh­ne die wi­der­strei­tends­ten Emp­fin­dun­gen, mei­ne Schlaf­kam­mer im Ober­stock. Aber nichts Un­ge­wöhn­li­ches war zu se­hen.
    Ich hat­te eben vom Ufer ab­ge­legt, als ich vor­aus in mei­nem Fahr­was­ser ein Ka­nu be­merk­te, das so­eben hin­ter der In­sel her­vor­ge­glit­ten war. Ein Ka­nu um die­se Jah­res­zeit war ein un­ge­wöhn­li­cher An­blick, und je­nes da vorn schi­en zu­dem noch wie aus dem Nichts ge­kom­men zu sein! So­bald ich mei­nen Kurs ein we­nig ge­än­dert hat­te, konn­te ich es im Au­ge be­hal­ten, bis es hin­ter dem nächs­ten, vor­sprin­gen­den

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