18 Gänsehaut Stories
plötzlich einen lauten Schrei aus.
»Ach, gerechter Gott! Der Spunkie hat meine Hand ergriffen!« schrie sie.
Man eilte zu ihr, und alle schrien, nur nicht Muirland. Das Mädchen zeigte seine blutende Hand; die, welche durch lange Übung geschickt in der Deutung solcher Orakel waren, kamen dahin überein, daß die Verwundung keineswegs, wie Muirland behauptete, durch Dornen hervorgebracht wäre, sondern daß die Hand des jungen Mädchens tatsächlich die Spuren der spitzigen Krallen eines Spunkie zeige.
Maillie würde also einen sehr eifersüchtigen Mann erhalten. Der verwitwete Pächter hatte viel getrunken.
»Einen Eifersüchtigen!« schrie er.
Er glaubte in dieser Deutung eine Anspielung auf die Geschichte seiner Ehe zu erkennen. »Was mich betrifft«, fuhr Muirland fort und leerte eine Kanne, welche bis zum Rande mit Whisky gefüllt war, »so will ich mich hundertmal lieber mit dem Spunkie vermählen, als nochmals heiraten. Ich habe erfahren, was es heißt, in Fesseln zu leben. Lieber will ich mich mit einem Affen, einer Katze oder einem Teufel in eine Flasche einschließen lassen. Ich bin auf meine arme Tuilzie eifersüchtig gewesen und hatte damit vielleicht unrecht; doch was soll man tun, wenn man sich gegen die Eifersucht schützen will? Wo ist das Weib, welches nicht einer ewigen Aufsicht bedürfte? Ich schlief des Nachts nicht, verließ sie den ganzen Tag nicht und schloß keine Minute die Augen. Mein Gut ging zurück, alles ging zugrunde. Tuilzie selbst welkte dahin. Fünf Millionen Teufel mögen die Ehe holen!« Einige lachten, andere ärgerten sich und schwiegen.
Nun sollte der Zauber mit dem Spiegel versucht werden. Hierbei stellt man sich mit einem Licht in der Hand vor einen kleinen Spiegel, haucht dreimal auf das Glas und wischt es dann ab, indem man dreimal wiederholt: »Komm heran, mein Mann!« oder »Daß ich dich schau’, meine Frau!« Dann zeigt sich über der linken Schulter der Person, die das Schicksal befragt, deutlich eine Gestalt, und zwar die der Gattin oder des Gatten. Niemand wagte nach dem, was Maillie zugestoßen war, noch ferner die übernatürlichen Mächte zu befragen. Die Wellen der Doon murmelten im Schilf; ein langer Silberschein, welcher in der Ferne auf dem Wasser schimmerte, war in den Augen der Landleute die leuchtende Spur der Skelpies oder Wassergeister. Muirlands Pferd, ein kleines Tier mit schwarzem Schweif und weißer Brust, wieherte laut, was stets ein Zeichen dafür ist, daß ein böser Geist in der Nähe weilt. Die Luft wurde kühl, die Halme des Schilfs wiegten sich rauschend im Wind. Alle Frauen begannen von der Rückkehr zu sprechen; sie tadelten ihre Männer und Brüder, daß sie zuviel tränken, rieten ihren Vätern, sich nicht länger der frischen Nachtluft auszusetzen.
»Nun! Wer von euch will in den Spiegel blicken?« fragte Muirland.
Niemand antwortete.
»Ihr habt wenig Mut«, fuhr er dann fort. »Der Hauch des Windes macht euch zittern. Was mich betrifft, so will ich keine Frau haben, wie ihr wißt, weil ich schlafen will und meine Augen sich nicht schließen wollen, wenn ich verheiratet bin; daher darf ich nicht in den Spiegel sehen.«
Als aber niemand den Spiegel ergreifen wollte, nahm Jock Muirland ihn doch zur Hand.
»Ich werde euch ein Beispiel geben.« Mit diesen Worten nahm er den Spiegel; das Licht wurde angezündet, und mutig wiederholte er die Zauberworte.
»Daß ich dich schau’, meine Frau!«
Sofort zeigte sich über Muirlands Schulter ein bleicher Kopf mit blondem Haar. Er erbebte und blickte sich um, um sich zu überzeugen, daß keins der jungen Mädchen hinter ihm stehe. Allein niemand hatte gewagt, die Rolle des Gespenstes zu spielen, und obschon der Spiegel den Händen des Pächters entglitten war und zerbrochen auf der Erde lag, zeigte sich doch
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