18 Gänsehaut Stories
zum Observatorium hinauf nur noch ein Teil seiner Arbeit. Der erste Blick auf die weißen Kuppen hoch über ihnen jagte ihm keinen erwartungsvollen Schauer mehr über den Rücken. Aber daß Dagny ihn diesmal begleitete, war etwas Besonderes, denn sie kam selten mit, wenn er zum Mt. Elsinore fuhr. Für sie war Astronomie keine Wissenschaft, sondern ein Geheimnis, obwohl sie sich durch ihr Interesse für Astrologie fundierte astronomische Grundkenntnisse hatte aneignen müssen. Sie wußte nicht nur über Sterne, Planeten und Sternbilder Bescheid, sondern verstand auch Fachausdrücke wie Stundenwinkel, siderische Zeit, Dekliniation oder Spektraltyp.
Die Außentemperatur nahm rasch ab, je höher sie kamen. In 1500 Meter Höhe erschienen die ersten Nebelstreifen, und bei 2000 Meter war der Nebel so dicht geworden, daß Bob nur noch Schrittempo fahren konnte.
Dagny war begeistert. Hier im Nebel schienen sie von der realen Welt isoliert zu sein. Einmal sahen sie ein weißes Eichhörnchen auf einem Ast am Straßenrand sitzen.
Nach dem Mittagessen im Berghotel erklärte Bob seiner Frau, er müsse jetzt ins Observatorium, wo seine Kollegen, die für diese Beobachtungsperiode eingeteilt waren, sich aufhielten. Auch die Techniker und Assistenten, die ständig hier arbeiteten, wohnten im Observatorium.
»Warum gehst du überhaupt hin?« fragte Dagny, während sie auspackte. »Der Nebel ist so dicht, daß man vom Fenster aus kaum unseren Wagen sieht.«
»Das ist eine Frage des Prinzips«, erklärte Bob und zog sich um, weil er im Observatorium lieber bequeme alte Sachen anhatte. »Astronomen treffen ihre Vorbereitungen unabhängig vom Wetter. Der Nebel könnte in einer Viertelstunde aufreißen. Wo wäre ich dann, wenn ich nichts vorbereitet hätte?«
»Peinlich«, murmelte Dagny.
Bob lachte, als ihm etwas einfiel.
»Ich weiß noch, wie ich zur Beobachtung einer Sonnenfinsternis in Neuguinea war«, sagte er. »Damals war ich allerdings noch Student. Am Morgen des entscheidenden Tages war die Wolkendecke so dicht, daß nicht einmal die Sonne zu sehen war. Ich hätte am liebsten zusammengepackt. Der Expeditionsleiter aber hat uns angefahren, wir sollten gefälligst weitermachen. Wir haben uns also an den ausgearbeiteten Zeitplan gehalten – und wenige Minuten vor Eintritt der totalen Sonnenfinsternis ist die Wolkendecke wie durch ein Wunder aufgerissen. Damit war das ganze Beobachtungsprogramm gerettet.«
Bob machte eine Pause. Als Dagny sich nicht dazu äußerte, ging er verlegen zur Tür.
Dagny runzelte die Stirn, während sie die auf dem Bett verstreuten Toilettenartikel und Kleidungsstücke betrachte te.
»Ich hab’ die Zahncreme vergessen!« rief sie.
Bob fühlte sich gedemütigt und herabgesetzt, wenn er daran dachte, daß er an Thorntons Programm mitarbeiten sollte. Aber sobald er eingewilligt hatte, spielten die Personen der Beteiligten keine Rolle mehr. Bob nahm sich vor, die Beobachtungen so gut wie irgend möglich durchzuführen – genau wie ein Chirurg, der einen Feind so gut wie einen Freund operierte. Sollte das Wetter jedoch die Beobachtungen verhindern, war das nicht seine Schuld.
Bei Sonnenuntergang löste sich der Nebel auf, und der Abendhimmel wurde kristallklar. Bob wartete noch eine Weile, bevor er seinen Nachtassistenten im Observatorium anrief und ihn anwies, die Kuppel des großen Spiegelteleskops zu öffnen. Aber er hatte kaum die halbe Meile zum Observatorium zurückgelegt, als wieder Nebel aufstieg. Und so ging es die ganze Nacht weiter: Nebel, klarer Himmel, wieder Nebel, es gelang ihm keine einzige gut belichtete
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