Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
18 Gänsehaut Stories

18 Gänsehaut Stories

Titel: 18 Gänsehaut Stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
Vom Netzwerk:
Ar­buez d’Es­pi­la dem zit­tern­den Rab­bi und sprach die fol­gen­den Wor­te:
    »Freue dich, mein Sohn, denn sie­he, dei­ne Prü­fun­gen hie­nie­den wer­den ein En­de fin­den. Wenn ich auch vor sol­cher Ver­stockt­heit tief­be­küm­mert er­lau­ben muß­te, daß so man­che Här­te an­ge­wen­det wur­de, so hat doch mei­ne Auf­ga­be brü­der­li­cher Stra­fe ih­re Gren­zen. Du bist der wi­der­spens­ti­ge Fei­gen­baum, der, so oft oh­ne Frucht, zu ver­dor­ren droht … doch bei Gott steht es, das Ur­teil über dei­ne See­le zu fäl­len. Viel­leicht wird die un­end­li­che Mil­de auch dir im letz­ten Au­gen­blick leuch­ten. Das müs­sen wir hof­fen. Es gibt des­sen Bei­spie­le … so ge­sch­ehe es! Ru­he denn heu­te abend in Frie­den. Mor­gen wirst du dem Au­to­da­fe un­ter­wor­fen, das heißt, daß du dem que­ma­de­ro aus­ge­setzt wirst, dem Schei­ter­häu­fen, der ein Vor­spiel des ewi­gen Feu­ers ist; es brennt, du weißt es, nur in der Fer­ne, mein Sohn, und der Tod braucht min­des­tens zwei, häu­fig drei Stun­den, um sich zu na­hen, weil wir doch dar­auf be­dacht sind, mit feuch­ten, eis­kal­ten Tü­chern Kopf und Herz der Op­fer zu schüt­zen. Ihr wer­det nur drei­und­vier­zig sein. Be­den­ke, daß du, als Letz­ter, die nö­ti­ge Zeit ha­ben wirst, um Gott an­zu­ru­fen und ihm die­se Feu­er­tau­fe dar­zu­brin­gen, die der Hei­li­ge Geist ist. Hof­fe dar­um auf die Er­leuch­tung und schla­fe!«
    Dom Ar­buez hat­te ge­en­det, auf sei­nen Wink wur­de der Un­glück­li­che von sei­nen Ket­ten be­freit, und der Großin­qui­si­tor um­arm­te ihn zärt­lich. Dann war der fra Re­d­emp­tor an der Rei­he, der mit lei­ser Stim­me den Ju­den um Ver­zei­hung der Lei­den bat, die er ihm der Er­lö­sung we­gen an­ge­tan hat­te. Dann um­arm­ten ihn auch die bei­den Spit­zel, de­ren Kuß un­ter den Ka­pu­zen ge­räusch­los blieb. Da­mit war die Ze­re­mo­nie zu En­de, und der Ge­fan­ge­ne blieb al­lein und ver­wirrt im Dun­kel.
    Rab­bi Aser Abar­ba­nel, den Mund aus­ge­trock­net, das Ge­sicht vom Lei­den ab­ge­stumpft, be­trach­te­te zu­nächst oh­ne be­son­de­re Auf­merk­sam­keit die ge­schlos­se­ne Tü­re. Ge­schlos­sen? Die­ses Wort weck­te in sei­nem In­ners­ten, in sei­nen wir­ren Ge­dan­ken ei­ne Vor­stel­lung. Hat­te er denn nicht se­kun­den­lang in der Spal­te zwi­schen Mau­er­werk und Tü­re das Licht der La­ter­nen zu se­hen ge­glaubt?
    Ei­ne krank­haf­te Hoff­nung, der Er­schöp­fung sei­nes Hirns zu­zu­schrei­ben, rüt­tel­te sein gan­zes Sein auf. Er schlepp­te sich zu dem Un­ge­wöhn­li­chen, das ihm er­schie­nen war. Und ganz sach­te, einen Fin­ger mit höchs­ter Be­hut­sam­keit in die Spal­te ein­füh­rend, zog er die Tü­re auf sich zu. O Wun­der! Durch einen au­ßer­or­dent­li­chen Zu­fall hat­te der Spit­zel beim Zu­sper­ren den mäch­ti­gen Schlüs­sel ein we­nig frü­her ge­dreht, als der Rie­gel sei­ne Öff­nung in der Mau­er er­reicht hat­te.
    Der Rab­bi wag­te einen Blick hin­aus.
    Dank ei­ner ge­wis­ser­ma­ßen fah­len Dun­kel­heit un­ter­schied er zu­nächst einen Halb­kreis von leh­mi­gen Mau­ern, durch­bro­chen von Wen­del­trep­pen. Und ge­wal­tig vor ihm, fünf oder sechs Stein­stu­fen hoch, ei­ne Art schwar­zer Vor­raum, der zu ei­nem brei­ten Gang führ­te, von dem sich von un­ten her nur die ers­ten Bö­gen er­ken­nen lie­ßen.
    Er leg­te sich auf den Bo­den und kroch bis zu die­ser Stel­le. Ja, es war tat­säch­lich ein Gang von un­er­meß­li­cher Län­ge. Ein blas­ser Schim­mer, ein un­kla­res Licht er­hell­te ihn; Nacht­lam­pen, an den Wöl­bun­gen auf­ge­hängt, ga­ben in ge­wis­sen Ab­stän­den der trü­ben Far­be der Luft einen bläu­li­chen Schein. Das fer­ne En­de war nichts als Schat­ten. An den Sei­ten in die­ser gan­zen Län­ge kei­ne Tü­re. Ver­git­ter­te Mau­er­lö­cher lie­ßen ei­ne Däm­me­rung durch – es muß­te die Abend­däm­merung sein, denn ro­te Strei­fen über­quer­ten in ei­ni­ger Ent­fer­nung von­ein­an­der die Flie­sen. Den­noch moch­te in der Tie­fe des Dun­kels dort ein Aus­gang in die Frei­heit füh­ren! Die schwan­ken­de Hoff­nung des Ju­den war zäh – es war sei­ne

Weitere Kostenlose Bücher