18 Gänsehaut Stories
Arbuez d’Espila dem zitternden Rabbi und sprach die folgenden Worte:
»Freue dich, mein Sohn, denn siehe, deine Prüfungen hienieden werden ein Ende finden. Wenn ich auch vor solcher Verstocktheit tiefbekümmert erlauben mußte, daß so manche Härte angewendet wurde, so hat doch meine Aufgabe brüderlicher Strafe ihre Grenzen. Du bist der widerspenstige Feigenbaum, der, so oft ohne Frucht, zu verdorren droht … doch bei Gott steht es, das Urteil über deine Seele zu fällen. Vielleicht wird die unendliche Milde auch dir im letzten Augenblick leuchten. Das müssen wir hoffen. Es gibt dessen Beispiele … so geschehe es! Ruhe denn heute abend in Frieden. Morgen wirst du dem Autodafe unterworfen, das heißt, daß du dem quemadero ausgesetzt wirst, dem Scheiterhäufen, der ein Vorspiel des ewigen Feuers ist; es brennt, du weißt es, nur in der Ferne, mein Sohn, und der Tod braucht mindestens zwei, häufig drei Stunden, um sich zu nahen, weil wir doch darauf bedacht sind, mit feuchten, eiskalten Tüchern Kopf und Herz der Opfer zu schützen. Ihr werdet nur dreiundvierzig sein. Bedenke, daß du, als Letzter, die nötige Zeit haben wirst, um Gott anzurufen und ihm diese Feuertaufe darzubringen, die der Heilige Geist ist. Hoffe darum auf die Erleuchtung und schlafe!«
Dom Arbuez hatte geendet, auf seinen Wink wurde der Unglückliche von seinen Ketten befreit, und der Großinquisitor umarmte ihn zärtlich. Dann war der fra Redemptor an der Reihe, der mit leiser Stimme den Juden um Verzeihung der Leiden bat, die er ihm der Erlösung wegen angetan hatte. Dann umarmten ihn auch die beiden Spitzel, deren Kuß unter den Kapuzen geräuschlos blieb. Damit war die Zeremonie zu Ende, und der Gefangene blieb allein und verwirrt im Dunkel.
Rabbi Aser Abarbanel, den Mund ausgetrocknet, das Gesicht vom Leiden abgestumpft, betrachtete zunächst ohne besondere Aufmerksamkeit die geschlossene Türe. Geschlossen? Dieses Wort weckte in seinem Innersten, in seinen wirren Gedanken eine Vorstellung. Hatte er denn nicht sekundenlang in der Spalte zwischen Mauerwerk und Türe das Licht der Laternen zu sehen geglaubt?
Eine krankhafte Hoffnung, der Erschöpfung seines Hirns zuzuschreiben, rüttelte sein ganzes Sein auf. Er schleppte sich zu dem Ungewöhnlichen, das ihm erschienen war. Und ganz sachte, einen Finger mit höchster Behutsamkeit in die Spalte einführend, zog er die Türe auf sich zu. O Wunder! Durch einen außerordentlichen Zufall hatte der Spitzel beim Zusperren den mächtigen Schlüssel ein wenig früher gedreht, als der Riegel seine Öffnung in der Mauer erreicht hatte.
Der Rabbi wagte einen Blick hinaus.
Dank einer gewissermaßen fahlen Dunkelheit unterschied er zunächst einen Halbkreis von lehmigen Mauern, durchbrochen von Wendeltreppen. Und gewaltig vor ihm, fünf oder sechs Steinstufen hoch, eine Art schwarzer Vorraum, der zu einem breiten Gang führte, von dem sich von unten her nur die ersten Bögen erkennen ließen.
Er legte sich auf den Boden und kroch bis zu dieser Stelle. Ja, es war tatsächlich ein Gang von unermeßlicher Länge. Ein blasser Schimmer, ein unklares Licht erhellte ihn; Nachtlampen, an den Wölbungen aufgehängt, gaben in gewissen Abständen der trüben Farbe der Luft einen bläulichen Schein. Das ferne Ende war nichts als Schatten. An den Seiten in dieser ganzen Länge keine Türe. Vergitterte Mauerlöcher ließen eine Dämmerung durch – es mußte die Abenddämmerung sein, denn rote Streifen überquerten in einiger Entfernung voneinander die Fliesen. Dennoch mochte in der Tiefe des Dunkels dort ein Ausgang in die Freiheit führen! Die schwankende Hoffnung des Juden war zäh – es war seine
Weitere Kostenlose Bücher