18 Gänsehaut Stories
undeutlicher Wehlaut. Dann zerriß ein ungeheurer Lärm die Stille in der Küche. Der alte Waldhüter hatte sein Gewehr abgefeuert, und sogleich stürzten auch seine Söhne herbei. Sie verrammelten das Fenster mit dem großen Eßtisch und stellten auch noch den Geschirrschrank hinter den Tisch. Und ich kann Ihnen schwören, seitdem der Schuß gefallen war, hörte ich nichts mehr. Die Angst hatte mein Herz gepackt, meine Seele, meinen Leib. Ich fühlte meine Sinne schwinden und glaubte, vor Angst zu sterben. Wir verharrten so bis zur Morgendämmerung, unfähig, uns zu rühren oder ein Wort zu sprechen, gebannt von einer unsagbaren Verwirrung. Wir wagten nicht, die Barrikade fortzuräumen, bis durch einen Spalt das Tageslicht hereindrang.
Am Fuß der Mauer, gegen die Tür gewandt, lag der alte Hund, die Schnauze von einer Kugel zerrissen.
Er war durch ein Loch in der Umzäunung aus dem Hof entwichen. Ich würde lieber allen Gefahren meines Lebens wieder gegenüberstehen, als noch einmal jene Minute erleben, als der Alte auf den bärtigen Kopf im kleinen Fenster schoß.
Folter durch Hoffnung
von
Villiers de I’lsle-Adam
Auguste Graf von Villiers de l’Isle-Adam (1838-1889) stammte aus einer alten französischen Adelsfamilie, deren Glanz mit der Revolution verblichen war. Als Villiers 1857 in die Hauptstadt Paris übersiedelte, war er unter den jungen Dichtern seiner Zeit der einzige, mit dem der zurückhaltende Baudelaire engeren Umgang pflegte. Und Baudelaires Einfluß wurde für Villiers bestimmend; durch ihn lernte er auch Edgar Allen Poe kennen. Auf der Pariser Literaturszene zeichnete er sich alsbald durch Extravaganz und Genialität aus, und im Jahre 1884 begann endlich der Ruhm, von dem er so lange geträumt hatte. Villiers bekanntestes Werk sind die »Contes cruels«, in denen sich deutlich der Einfluß Poes und der deutschen Romantik zeigt. Es sind Erzählungen, in denen Grauen und Ironie, Traum und Todesahnungen einer seltsam morbiden Atmosphäre ineinanderfließen.
Unter den Gewölben des Justizgebäudes von Saragossa stieg bei Anbruch eines Abends der ehrwürdige Pedro Arbuez d’Espila, sechster Prior der Dominikaner von Segovia, dritter Großinquisitor von Spanien, gefolgt von einem fra Redemptor – einem Foltermeister – und vor ihm zwei Späher des Heiligen Offiziums, die Laternen trugen, zu einer verlorenen Kerkerzelle hinunter. Das Schloß einer starken Türe knarrte; man trat in ein verpestetes in pace. Ein dürftiges Licht von oben ließ zwischen den an die Mauern gehämmerten Ringen eine blutgeschwärzte Lagerstatt erkennen, ein Kohlenbecken und einen Krug. Auf verdreckter Streu saß, in schweren Fesseln, den Eisenring um den Hals, verstört ein Mann von unbestimmbarem Alter, in Lumpen gehüllt.
Dieser Gefangene war kein anderer als der Rabbi Aser Abarbanel, ein aragonischer Jude, des Wuchers und der unerbittlichen Ausbeutung der Armen angeklagt. Seit mehr als einem Jahr war er täglich der Folter unterworfen worden. Und doch, da »seine Verblendung ebenso hart war wie seine Haut«, hatte er sich geweigert, seinem Glauben abzuschwören.
Stolz auf eine vieltausendjährige Abstammung, auf seine Ahnen – denn alle dieses Namens würdigen Juden sind stolz auf ihr Blut – war er dem Talmud nach ein Abkömmling Othoniels und infolgedessen Ipsiboes, der Gattin dieses letzten Richters in Israel; ein Umstand, der auch seinen Mut während der unablässigen Foltern sonderlich aufrechterhalten hatte.
So näherte sich denn auch, Tränen in den Augen im Gedanken daran, daß diese starke Seele sich dem Heil verschloß, der ehrwürdige Pedro
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